Ein bis zwei Mal pro Woche auf Tour. Lawinenforscher Bastian Bergfeld (mit der roten Jacke) wirft den Beschleunigungssensor vor sich in den Schnee, um zu messen, wie schnell sich Brüche in den Schichten fortpflanzen (oben). | Bild oben: Alec van Herwijnen, SLF.

Ein bis zwei Mal pro Woche auf Tour. Lawinenforscher Bastian Bergfeld (mit der roten Jacke) misst, wie schnell sich Brüche in den Schichten fortpflanzen. | Bild: Alec van Herwijnen, SLF.

«Jeder Skitourenfahrer fürchtet dieses Geräusch. Es macht Wumm, laut oder leise, langgezogen oder kurz und knapp. Egal, wie es klingt, dieses Geräusch bedeutet Gefahr. Eine Schwachschicht unter dem Schneebrett, auf dem man steht, ist gebrochen. In steilem Gelände könnte dann eine Schneebrettlawine abgehen. Wann es warum wummst, ist einer meiner Forschungsschwerpunkte hier am Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos. Neunzig Prozent der Lawinenunfälle passieren durch Schneebretter, die Wintersportler selbst auslösen. Unser Ziel: Die Lawinenprognosen ständig verbessern. Wir untersuchen unter anderem, wie und wie schnell sich der Bruch in der Schwachschicht ausbreitet. Das geschieht in rasendem Tempo, er kann sich schon mal mit einer Geschwindigkeit von über 100 Kilometern pro Stunde fortpflanzen.

Von der Grossstadt in den Lawinenhang

Im Schneeprofil studiert Bastian Bergfeld die Stabilität der verschiedenen Schichten. | Bild: Stephanie Mayer, SLF

Bastian Bergfeld hat an der Ludwig-Maximilians- Universität München Physik studiert und ist im Rahmen seiner Masterarbeit auf die Lawinenforschung gestossen, die er bereits am WSL Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos machen konnte. Er arbeitet dort derzeit an seiner Doktorarbeit über Lawinenprävention und Lawinenbildung.

Ein bis zwei Tage pro Woche bedeutet das, morgens mit der ersten Bahn auf die Schatzalp oberhalb von Davos zu fahren. Ich bin sowieso Frühaufsteher. Ausgerüstet sind wir wie Skitourenfahrer, neben der Standard-Sicherheitsausrüstung wie Lawinensuchgeräte, Schaufeln und Sonden stellt das Institut Airbag-Rucksäcke zur Verfügung. Schliesslich müssen wir dorthin, wo die Lawinen sind. Von der Bergstation geht es weiter auf Tourenski in Richtung Strelapass bis ins Steintälli. Dort haben wir gute Bedingungen für unsere Forschungen. In Steilhänge wagen wir uns natürlich nicht. Wir suchen Stellen, an denen wir ein Wumm auslösen können, ohne selbst in Gefahr zu geraten, also im flachen Gelände.

Lawinen können zwar verheerend sein, aber sie sind glücklicherweise auch relativ seltene Ereignisse. Das macht sie umso schwieriger zu erforschen. Es gibt ausserdem sehr viele Faktoren, die eine Rolle spielen: die Zusammensetzung der Schneedecke, der Wind, die Temperatur, das Gelände. Unsere Arbeit braucht also viel Geduld. Um das Tempo der Bruchausbreitung zu messen, haben wir acht ungefähr faustgrosse Beschleunigungssensoren entwickelt. Wir laufen in einer Linie und werfen sie in grossem Bogen vor Dem weissen Tod auf den Fersen uns, immer im Abstand von mehreren Metern. Sie haben ein langes Band, damit wir sie später im Schnee wiederfinden. Lösen wir einen Bruch aus, können wir mit Hilfe dieser Sensoren ausrechnen, wie schnell sich der Bruch ausgebreitet hat.

Schreck auf dem Institutsausflug

Ich glaube, dass sich viele Tourenfahrer in trügerischer Sicherheit wiegen. Sie sind vielleicht mehrere Male ganz knapp daran vorbeigeschrammt, eine Lawine auszulösen, ohne es zu ahnen. Das merkt man nämlich nicht. Man merkt es erst, wenn es zu spät ist, weil man nicht sieht, was unter dem sichtbaren Schneebrett geschieht. Wie kurz die Schwachschicht vielleicht davor stand zu kollabieren. Ich bin selbst passionierter Tourenfahrer. Meine Forschungen haben mich, glaube ich, in meinen eigenen Unternehmungen vorsichtiger gemacht. Ich weiss inzwischen, dass wir so vieles nicht wissen. Selbst ein detailliertes Schneeprofil und Stabilitätstests können nur die lokalen Gegebenheiten wiedergeben. Das mussten wir letztes Jahr auf einem Institutsausflug erleben. Wir hatten nur einige hundert Meter zuvor ein Schneeprofil erstellt, die Schneedecke zeigte sich sehr stabil. Wir fuhren weiter in einen Kessel, und plötzlich ein lautes Wumm. Wir sind alle innerlich erstarrt, zum Glück waren wir auf der flachen Hangseite. Ab 30 Grad Neigung wird es riskant.

Ich habe grosses Glück, dass ich meine Leidenschaft und meine Forschungen miteinander verbinden kann. Ich hoffe möglichst lange in Davos bleiben zu können, es gefällt mir hier sehr gut. Und es fällt mir auf, wie wichtig es ist, das alltägliche Wetter mitzubekommen. So habe ich einen viel besseren Eindruck von der Schneedecke: Ach, das war der heftige Wind vorgestern, denke ich mir dann beispielsweise, wenn ich ein Profil studiere. Auch meine Frau ist begeisterte Tourenfahrerin. Manchmal freut sie sich auf eine Tour am Wochenende, und ich würde eigentlich lieber auf dem Sofa liegen.»