Der Schweizer Untergrund ist jetzt kartiert, dank alter Daten, die neu zusammengesetzt wurden. | Bild: Swisstopo

Wer wissen will, wie es viele Millionen Kilometer entfernt auf dem Mars aussieht, findet dazu problemlos eine Fülle von Fotos und Karten im Internet. Im Gegensatz dazu ist die Welt direkt unter unseren Füssen noch weitgehend unbekannt. Doch das Interesse am Schweizer Untergrund wächst ständig: In Zukunft soll mit Erdwärme Strom produziert werden. Unter der Erde suchen Geologinnen und Geologen nach Platz für die Lagerung von radioaktiven Abfällen und dem Treibhausgas CO2. Und das Unternehmen Cargo sous terrain will einen grossen Teil des Schweizer Gütertransports in den Untergrund verlegen.

Mittelland unter Tage in 3D

Die meisten dieser Vorhaben sind für das Mittelland geplant – unter den am dichtesten besiedelten Regionen der Schweiz. Um die Planung dieser Projekte voranzutreiben, hat das Bundesamt für Landestopografie Swisstopo nun ein aufwendiges 3D-Modell erarbeitet, das die geologische Beschaffenheit des Untergrunds von Genf über das Mittelland bis in die Ostschweiz darstellt. Das sogenannte Molassebecken erreicht dabei Tiefen zwischen wenigen hundert Metern im Norden bis etwa 6000 Metern im Süden und besteht aus Sedimentschichten wie Kalk, Sandstein und Ton – Ablagerungen aus der Zeit vor etwa 25-30 Millionen Jahren, als die Schweiz noch von Meer bedeckt war.

«Woher genau in den Alpen welches Wasser kommt, ist immer noch eines der grössten geologischen Rätsel der Schweiz.»Gunter Siddiqi

«Dank der dreidimensionalen Visualisierung können nun auch Entscheidungsträger, die nicht vom Fach sind, die Struktur des Untergrunds besser verstehen», sagt Projektleiter Robin Allenbach von Swisstopo. Mit Hilfe des Geomol-17-Modells können Bauingenieurinnen beispielsweise präziser vorhersagen, durch welche Arten von Gestein beim Bau eines Tunnels gebohrt werden muss. So ist es möglich, eine Trassenführung durch ungünstige Formationen – wie etwa unverfestigtes Gestein – zu vermeiden.

Eine wichtige Rolle spielte Geomol 17 deshalb schon bei der Planung des Streckennetzes für Cargo sous terrain. Das Projekt will die grossen Städte des Mittellandes durch sechs Meter breite Tunnel verbinden, in denen Waren in unbemannten Fahrzeugen vollautomatisch von Ort zu Ort transportiert werden. Laut der Unternehmen könnten so in Zukunft bis zu 40 Prozent des Güterverkehrs unter der Erde ablaufen. Das erste etwa siebzig Kilometer lange Teilstück soll Niederbipp (SO) mit Zürich verbinden und im Jahr 2030 in Betrieb gehen.

Neben dem Verlauf und der Dicke der Sedimente visualisiert Geomol 17 auch Stellen, an denen Brüche auftreten. Die Lage solcher Störungszonen ist ebenfalls ein wichtiges Kriterium bei der Standortwahl für unterirdische Bauvorhaben wie etwa Tiefenbohrungen: «Anhand des 3D-Modells kann man sich beispielsweise überlegen, wie Wasser durch diese Brüche fliesst, was für geothermische Vorhaben sehr wichtig ist», sagt der Geothermie-Experte Gunter Siddiqi vom Bundesamt für Energie.

Während frühere Darstellungen nur eine Handvoll dieser Störungen zeigten, kartiert Geomol 17 nun die Lage von etwa 600 solcher Bruchzonen. «In dieser Hinsicht ist dieses Projekt unglaublich wichtig für die Schweiz», so Siddiqi.

Für die Modellierung von Geomol 17 ermittelten die Geologen keine neuen Daten, sondern konsolidierten viele tausend schon vorhandene Datensätze aus verschiedenen Quellen, insbesondere von der Firma Seag, die seit den 50er Jahren Erdöl- und Erdgasexploration in der Schweiz betreibt, sowie von der Nagra, die seit vielen Jahren geologische Abklärungen zur unterirdischen Lagerung radioaktiver Abfälle durchführt.

Daten dank Bohrungen und Beben

Ebenfalls eingebunden wurden Messungen von weiteren privaten Unternehmen, Forschungsprojekten und topografischen Karten. «Am aufwendigsten war es, alle diese zum Teil sehr alten Daten auf einen einheitlichen Stand zu bringen», so Allenbach, «wir haben massenhaft Papiere eingescannt und weiterverarbeitet.» Um diese Fülle an Material zu bewältigen, übernahmen neben Swisstopo auch das Geologische Museum des Kantons Waadt sowie die Universitäten Genf, Freiburg, Bern und Basel jeweils einen Teilabschnitt.

«Wir haben massenhaft Papiere eingescannt.»Robin Allenbach

Wesentliche Informationen über die Struktur des Untergrunds erhielten sie dabei durch die neue Auswertung von Daten aus früheren Bohrungen: Hier liess sich anhand der Bohrkerne oder durch das zerkleinerte Material, das an der Oberfläche analysiert wurde, nachvollziehen, wie die darunter liegenden Gesteinsschichten beschaffen sind.

«Stellenweise haben wir in der Schweiz dadurch ein sehr gutes Verständnis des Untergrunds, aber eben leider nur an wenigen Punkten», sagt Gunter Siddiqi. Denn eine solche Exploration des Untergrunds ist teuer und aufwendig – und dementsprechend rar: Bis jetzt gab es in der Schweiz nur 165 Bohrungen in Tiefen von mehr als 500 Metern, was etwa vier Bohrungen pro 1000 Quadratkilometer entspricht.

Nicht ganz so selten sind dagegen seismische Messungen, die allerdings nur indirekte Hinweise liefern: Hierfür erzeugen Geophysiker mit Hilfe von Vibratoren oder Sprengungen künstliche Erschütterungen im Boden. Anhand der Geschwindigkeit, mit der sich diese Erschütterungen wellenförmig durch den Untergrund bewegen, berechnen Geologinnen dann die Struktur der darunterliegenden Gesteinsschichten. «Mit aufwendiger 3D-Seismik lassen sich mittlerweile Bruchzonen in einer sehr guten Auflösung von Dutzenden bis Hunderten Metern darstellen», sagt Marco Herwegh, Professor für Strukturgeologie an der Universität Bern.

Auch seismische Wellen, die durch natürliche Erdbeben ausgelöst werden, können für die Kartierung des Untergrunds verwendet werden. So hat das Projekt Alparray, das von der ETH Zürich und der Universität Lausanne koordiniert wird, in den letzten Jahren ein Netz von 600 Seismografen im Alpenraum und im Mittelmeer platziert, die selbst die leichtesten Erschütterungen von schwachen Erdbeben registrieren.

Suche nach Heisswasserflüssen

Trotz Projekten wie Alparray gibt es noch keine umfassende 3D-Modellierung des Untergrunds unter den Alpen – obwohl dies durchaus wünschenswert wäre: So vermuten Expertinnen zum Beispiel, dass es im Alpenraum zahlreiche unterirdische Heisswasserflüsse gibt – davon zeugen die vielen Thermalquellen im Wallis. Natürlich vorkommende heisse Wasser sind eine günstige Voraussetzung für die geothermische Stromerzeugung (siehe auch Kasten). Deshalb versuchen Geologen, den Weg des Thermalwassers unter den Alpen zu rekonstruieren: Hierfür bestimmen sie mit Hilfe chemischer Analysen, wie alt das Wasser ist und durch welche Gesteinsarten es geflossen ist. «Doch woher genau in den Alpen dieses Wasser kommt, ist immer noch eines der grössten geologischen Rätsel der Schweiz», sagt Siddiqi.

Dennoch sind die ersten Schritte für ein 3D-Modell des Alpenuntergrunds schon gemacht: So arbeitet etwa der Strukturgeologe Herwegh mit seiner Forschungsgruppe zurzeit an einem Modell des Aarmassivs. Zusätzlich zu den verfügbaren seismischen Daten analysiert er hierfür auch die Schichten und Brüche der sichtbaren Gesteinsformationen. Diese schneiden die Erdoberfläche entlang bestimmter Schnittlinien, welche die Forschenden von der Oberfläche her in die Tiefe projizieren. So können sie vorhersagen, wie die Gesteine sich unterirdisch fortsetzen. Herwegh ist überzeugt, dass sich die Arbeit, die Geologen in die Erstellung von 3D-Modellen investieren, in Zukunft auszahlen wird: «Die Modelle generieren Hinweise, wo man mit guten Erfolgschancen geothermische Bohrungen platzieren kann – eine hundertprozentige Garantie gibt es allerdings nie, und das macht die ganze Sache so spannend.»

Strom aus der Tiefe durch CO2
In der Schweiz dienen Erdwärmesonden von höchstens wenigen hundert Meter Tiefe zum Heizen von Häusern. In Zukunft könnte dank Erdwärme auch Strom produziert werden. Geologen sind auf der Suche nach unterirdischen Thermalflüssen. Deren heisses Wasser soll an die Oberfläche gepumpt werden und dort direkt oder über einen Wärmetauscher eine Turbine antreiben.

In Island, wo heisses Wasser aufgrund des vulkanischen Untergrunds nahe an der Oberfläche fliesst, wird so schon erfolgreich Strom erzeugt. «Bei uns müsste man allerdings im Schnitt vier Kilometer tief gehen, um 100 bis 120 Grad heisses Wasser zu finden, was es für herkömmliche Technologien braucht», sagt Gunter Siddiqi vom Bundesamt für Energie. Wie Pilotprojekte in Basel und St. Gallen gezeigt haben, können solche Tiefenbohrungen jedoch möglicherweise Erdbeben auslösen. Und sie sind sehr aufwendig und teuer.

Gesucht sind deshalb Techniken, um auch aus geringeren Tiefen effizient Strom zu produzieren. Eine Idee dazu stammt von Martin O. Saar von der ETH Zürich. Er möchte dazu unterirdische Kohlendioxid- Lagerstätten nutzen, wie sie etwa in den USA schon jetzt existieren und dort die CO2-Emission von grossen Kraftwerken und Fabriken um über 90 Prozent vermindern. Saar glaubt, dass solche Lager in naher Zukunft auch in der Schweiz entstehen werden. Das gelagerte Gas würde sich dabei schon ab etwa 2,5 Kilometer Tiefe auf etwa 80 Grad aufwärmen.

«Wir könnten dieses geothermisch erwärmte CO2 kurzfristig an die Oberfläche holen, um Strom zu erzeugen, und es dann wieder nach unten pumpen, wo es letztendlich permanent eingelagert wird», sagt Saar. «Aufgrund der physikalischen Eigenschaften von CO2 liesse sich damit doppelt so effizient Strom produzieren, als es mit Wasser bisher möglich ist – und das bei geringeren Temperaturen, in geringeren Tiefen und wirtschaftlich.» Saar hofft darauf, bald Gelder für eine Pilotanlage zu finden.

Yvonne Vahlensieck ist freie Wissenschaftsjournalistin in der Nähe von Basel.