Fokus: Mit Bild zur Erkenntnis
Editorial: Visuelles veredelt den Geist
Dank den Techniken von Forschenden, können wir in neue Spären vorstossen und damit die Welt, die wir in unserem Geist konstruieren, sagt Co-Redaktionsleiter Florian Fisch frei nach dem Jacques Dubochet, der für seine Cryoelektronenmikroskopie den Nobelpreis erhalten hat.

Mit seinen Blitzen und Fotofallen brachte der Pionier der Wildfotografie George Shiras die exotische Welt der Tiere in die guten Stuben – hier 1893 von einem Kanu aus. | Foto: George Shiras
«Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?», fragte Thomas Nagel, Philosophieprofessor an der New York University, 1974 in einem Aufsatz. Er wollte aufzeigen, dass es für uns Menschen unmöglich ist, die Welt auf die Weise der fliegenden Säuger zu erfahren. Trotzdem lädt uns das Gedankenexperiment dazu ein, es zu versuchen: zu hören, anstatt zu sehen. Ich kann es mir nicht richtig ausmalen. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie die Wirklichkeit für blinde Menschen ist. Im komplett dunklen Restaurant Blinde Kuh zu essen, hat daran auch nichts geändert. Offenbar benutzt die Sehrinde des Gehirns auch Geräusche für räumliche Orientierung, wie ich im Fokusbeitrag lerne. Das Sehen liefere zwar langsame Daten, dafür aber die verlässlichsten.
Kein Wunder, setzt die moderne Wissenschaft auf Visualisierung: Figur 1, Tabelle 2, Schema 3 sind zentrale Elemente in Fachartikeln. Selbst aus anderen sinnlichen Wahrnehmungen wie Schmerzen oder Tönen werden Grafiken fabriziert, um sie zu veranschaulichen. Unzählige Technologien liefern Forschenden dafür die benötigten Bilder. Solche Aufnahmen können selbst Forschende oft nur mithilfe von anderen Fachleuten erzielen.
Wobei Visualisierungen auch falsche Sicherheit vermitteln können. Genau wie das Gehirn aufgrund von mangelhaften Sinneseindrücken ein ganz eigenes Bild der Welt zusammensetzt, begründet auch die Wissenschaft Theorien aufgrund von unvollständigen Informationen. Bei der Interpretation von Daten sind Verzerrungen unvermeidlich. Wenn Forschende mit ihren Erkenntnissen schliesslich an die Öffentlichkeit gehen, besteht das Risiko, dass diese anders als gedacht interpretiert werden. Die drei ikonischen Bilder erzählen von solchen Missverständnissen.
Das sollte uns allerdings weder in noch ausserhalb der Forschung daran hindern, weiter tief und tiefer in die Welt zu blicken. Denn es gilt stets, was der Schweizer Nobelpreisträger Jacques Dubochet zur Elektronenmikroskopie sagt: «Sie vergrössert die Welt, die wir in unserem Geist konstruieren.»