Foto: Keystone / Science Photo Library / Hubble Legacy Archive / Nasa / Esa / Robert Gendler

Interstellares Gas mit religiöser Kraft

Kommunikationswissenschaftlerin Katharina Lobinger von der USI über die «Säulen der Schöpfung», erstmals abgelichtet 1995 (Bild oben von 2014) mit vier separaten Kameras des Weltraumteleskops Hubble.

«Die Hubble-Aufnahme zeigt die rund 7000 Lichtjahre entfernte, als ‹Säulen der Schöpfung› bezeichnete Formation. Als die Nasa das Bild veröffentlichte, reagierten die Menschen mit Staunen und Begeisterung. Die Faszination rührt daher, dass hier etwas aufgedeckt wird, das ohne technische Hilfsmittel nicht zu sehen wäre. Das Bild löst zudem auf psychologisch-philosophischer Ebene etwas aus: Der Blick ins Universum weitet das Verständnis von Raum und Zeit aus und zeigt, wie winzig wir Menschen und unsere Sorgen sind.

«Der Titel des Bildes suggeriert, dass da draussen eine schöpfende Kraft wirkt.»Katharina Lobinger

Der Titel ‹Säulen der Schöpfung› ist besonders bedeutsam. Er gibt der Inter­pretation eine religiöse Anmutung, suggeriert, dass da draussen eine schöpfende Kraft wirkt. In anderen Kontexten wurden für das Gebilde aus interstellarem Gas und Staub deutlich profanere Titel gewählt, etwa das in der Astronomie übliche Elephant trunks (Elefantenrüssel).

Die Kraft dieses Bildes erklärt sich auch damit, dass ihm grosse Glaubwürdigkeit zugesprochen wird: Es liest sich wie in der klassischen Naturfotografie als ein Art Abdruck der Natur. Tatsächlich aber ist das Bild ein wissenschaftliches Konstrukt. Es wurde aus 32 Einzelaufnahmen zusammengesetzt und eingefärbt. Das von Schwefelatomen stammende Licht hat man in rötlicher Farbe, Sauerstoff in Blau und Wasserstoff in Grün dargestellt. Ohne Färbung wären nur schwarze Kleckse vor grauem Hintergrund zu sehen. Ein solches Bild wäre für Laien unverständlich und ohne Evidenzkraft.»

Foto: Keystone / EPA / STR

Die Angst vor Frankenstein

Medienforscher Mike Schäfer von der Universität Zürich zur Filmaufnahme der Ohrenmaus, die erstmals im Oktober 1997 auf BBC ausgestrahlt wurde.

«Das Bild der sogenannten Ohrenmaus ist durch eine Fehleinschätzung weltberühmt geworden. 1997 besuchte ein Fernsehteam der BBC den Mediziner Charles Vacanti in seinem Labor am Massachusetts General Hospital in Boston. Die BBC drehte eine Dokumentation über die Züchtung von Gewebe, und Vacanti galt als Experte auf dem Gebiet. Plötzlich fragte er die Reporterin: ‹Wollen Sie etwas Cooles sehen?›

Der Forscher brachte aus dem Nebenraum eine Maus, der ein menschliches Ohr am Rücken gewachsen zu sein schien. Tatsächlich bestand das Gebilde aus Rinder-Knorpelzellen, die an einem implantierten Polymergerüst in Form eines menschlichen Ohrs wuchsen. Weil Vacanti Bilder der Maus zuvor ohne grosses Echo an Kongressen gezeigt hatte, liess er die BBC filmen.

«Die Ohrenmaus wurde für viele zum Symbol einer Wissenschaft ausser Rand und Band.»Mike Schäfer

Aus dem Kontext gerissen, verkürzt dargestellt und von Medien emotional aufgeladen, entwickelte das Bild aber eine Dynamik, die Vacanti nicht antizipiert hatte. Eigentlich sollte die Ohrenmaus das Potenzial der Gewebezüchtung für die rekonstruktive Chirurgie demonstrieren. Stattdessen wurde sie für viele zum Symbol einer Wissenschaft ausser Rand und Band. Das vermeintliche Mischwesen aus Mensch und Tier löste Unbehagen und Ängste aus, erinnerte gar an Frankensteins Monster.

Zugleich stiess das Bild aber auch wichtige Diskussionen an: Was ist verantwortungsvolle Forschung? Dürfen wir Tiere als Wachstumsplattformen nutzen? Wie sollen die Forschenden ihre Arbeit kommunizieren? Diese Fragen bleiben relevant.»

Illustration: Rudolph Zallinger for Time-Life Books’ Early Man (1965)

Krone der Schöpfung nur suggeriert

Kommunikationswissenschaftlerin Katharina Lobinger von der USI über die Infografik «The road to Homo sapiens», die erstmals 1965 im Buch «Early Man» veröffentlicht wurde, die vollständig ausgeklappte Version hat 15 Figuren.

«Die Darstellung ‹March of progress›, Marsch des Fortschritts, ist tief in die westliche Popkultur vorgedrungen. Kaum eine andere Grafik wird so oft für Memes oder T-Shirt-Aufdrucke verwendet. Golfbegeisterte etwa zeigen am Ende der berühmten Reihe einen Golfspieler, Atomgegnerinnen einen strahlenverseuchten Freak. Die Popularität des Bildes zeigt, dass bei der Grafik vieles richtig gemacht wurde.

Sie überzeugt mit einer klaren, intuitiv verständlichen Struktur. Zum Erfolg trug zweifellos auch die künstlerische Qualität der Originalzeichnungen bei. Rudolph Zallinger gehörte zu den besten Illus­tratoren für Naturhistorisches seiner Zeit.

«Die Evolution ist kein linearer Prozess, sondern einer der Aufspaltung und der Endstationen.»Katharina Lobinger

Ausgeklappt zeigt die originale Infografik fünfzehn, zusammengeklappt sechs Figuren. In den Schulbüchern hat sich die Kurzvariante etabliert. Diese verschärft den Eindruck eines kontinuierlichen Aufstiegs: Von links nach rechts werden die Gestalten stetig grösser. Auch die lineare Anordnung und die Marschrichtung suggerieren stetigen Fortschritt – bis zur Krone der Schöpfung: zum Homo sapiens sapiens. Dieser Aspekt wurde später stark kritisiert.

Kritikerinnen und Kritiker wiesen zudem auf die irreführende Darstellung der Evolution hin. Diese sei kein linearer Prozess, sondern einer der Aufspaltung und der Endstationen. Das war den Herausgebern der Grafik übrigens bewusst. In den Begleittexten der langen Variante tauchen Formu­lierungen wie ‹wahrscheinlicher Seitenzweig› und ‹evolutionäre Sackgasse› auf. Die bildliche Darstellung ent­wickelte aber eine mächtige Eigendynamik.»