Irina Guseva Canu ist Epidemiologin an der Universität Lausanne. Sie forscht zum Thema Gesundheit am Arbeitsplatz. | Bild: zVg

50 000 Mitarbeitende an Hochschulen, von Doktorierenden bis zu Professorinnen sowie nicht akademisches Personal, sollen an der europäischen Studie Staircase zu psychischer Gesundheit teilnehmen. Sie läuft bis März 2024. Die Epidemiologin Irina Guseva Canu von der Universität Lausanne ist für die Distribution in der Schweiz verantwortlich

Irina Guseva Canu, was ist das Ziel der Staircase-Studie?

Es gibt bereits Daten von kleineren Umfragen in Grossbritannien oder Australien, die zeigen, dass Forschende immer pessimistischer werden. Gründe sind die Arbeitsbelastung, die fehlende Work-Life-Balance und die Ungewissheit wegen befristeter Verträge. Staircase ist die bisher umfangreichste Erhebung dazu und soll Vergleiche zwischen Ländern, Hierarchiestufen und Disziplinen ermöglichen. Letztlich ist das Ziel, das System zu ändern.

Was ist in der Akademie anders als in sonstigen Berufsfeldern?

In der Schweiz herrscht ein extremer Wettbewerb um Fördermittel und darum, als Erste zu publizieren. Aus Grossbritannien hören wir, dass der Druck seit dem Austritt aus der EU zugenommen hat. Dazu kommt die Arbeitsbelastung. Gleichzeitig werden Freizeitaktivitäten angepriesen, damit man belastbarer ist. Aber wie soll, wer Extraarbeit leisten muss, um genug Geld zu verdienen, an Freizeit denken?

«Wir versuchen noch immer, übergeordnete Institutionen davon zu überzeugen.»

Wie war das Feedback hierzulande?

Unsere Zielgruppen wie etwa Organisationen von Doktorierenden oder des Mittelbaus unterstützen uns voll und ganz. Von der Studierendenvereinigung der Universität Lausanne habe ich sogar eine Einladung zu einer Podiumsdiskussion über psychische Gesundheit bekommen. Die Umfrage gibt Impulse für weitere Initiativen.

Die Zeit scheint reif …

Ich muss das nuancieren. Das Feedback von oben war weniger ermutigend. Wir versuchen noch immer, übergeordnete Institutionen davon zu überzeugen, dass sie die Umfrage verbreiten.

Weshalb ist das so?

Ein Grund dafür könnte die besonders in der Deutschschweiz ausgeprägte Vorstellung sein, dass Menschen belastbar sein sollen. Psychische Störungen sind stärker stigmatisiert als in anderen Kulturen. Das konnte ich kürzlich in einer landesweiten Studie zum Thema Burn-out nachweisen. Dasselbe beobachten wir in der Akademie: Ein 50-jähriger Professor muss fit sein, er darf sich nicht leer fühlen. Bei der jüngeren Generation mag das anders sein.

«Forscherin zu sein ist auch der beste Job der Welt.»

Haben Sie persönlich solche Schwierigkeiten erlebt?

Ich habe einen starken Charakter und weiss, wie man ein Burn-out verhindert. Aber auch ich habe Mühe, wenn ein Projekt, in das wir viel Energie gesteckt haben, keine Finanzierung erhält. Und ich spüre den zunehmenden finanziellen Druck: kein Geld, keine Doktorierenden, keine Forschung, keine Publikationen. Manchmal scheint es, als sei es nie genug, egal, was man tut. Aber Forscherin zu sein ist auch der beste Job der Welt: Wir sind von Menschen umgeben, die lernen wollen. Und ich selber lerne jeden Tag Neues.