Die Grande Dixence in den Walliser Alpen ist die grösste Staumauer Europas. Ihr Stausee speist die drei Speicherkraftwerke Fionnay, Nendaz und Bieudron, die zusammen die grösste Wasserkraftanlage der Schweiz bilden. | Bild: Jérémy Toma/Wikimedia Commons

Ohne die Wasserkraft liefe in der Schweiz nicht viel. Rund 57 Prozent des Stroms, der im Land produziert wird, stammt aus Wasserkraftwerken. Auch in der Zukunft kommt dieser Energiequelle eine entscheidende Rolle zu – allein schon aus Klimaschutzgründen: Die Schweiz will schliesslich bis 2050 klimaneutral werden. Und die Wasserkraft soll einen grossen Beitrag dazu leisten.

Doch in den letzten Jahren haben sich die Aussichten für die Wasserkraft verdüstert. So äusserte sich das Bundesamt für Energie (BFE) in seinem zweiten Monitoringbericht zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 zurückhaltend. Viele Wasserkraftwerke seien ökonomisch ins Trudeln geraten, weil die Strommarktpreise zwischen 2009 und 2016 sehr niedrig waren. Ausserdem verschlechtern sich die Fördermöglichkeiten für kleine Anlagen.

Unflexible ehemalige Monopole

Dabei ist die Technik der Wasserkraft das geringste Problem, sie gilt als weitgehend ausgereift und hocheffizient: Die grossen Speicherkraftwerke in der Schweiz arbeiten mit einem Wirkungsgrad von 90 bis 95 Prozent. Dagegen müssen ökonomische und politische Herausforderungen bewältigt werden. Einen Teil der heutigen Schwierigkeiten führt der Umweltökonom Ludovic Gaudard von der Universität Genf auf die Geschichte der Schweizer Wasserkraft zurück. So seien viele grosse Anlagen in den 1950er-Jahren von staatlichen Monopolisten gebaut worden. Doch in der heutigen Zeit – mit einem für Grosskunden bereits liberalisierten Markt und dezentralen Wind- und Solaranlagen als Konkurrenz – sei das System ein ganz anderes. Wie soll man in die schwerfällige Wasserkraft investieren, sodass sich das über viele Jahrzehnte hinweg lohnt? Diese Frage sei nicht leicht zu beantworten.

Gemeinsam mit etlichen Kollegen hat Gaudard im Nationalen Forschungsprogramm (NFP) Energie vier Jahre lang nach Lösungen gesucht. 2019 legten die Wissenschaftler ihre Abschlussberichte vor. Die Branche müsse in Zukunft flexibler werden, lautet ihre Empfehlung.

Neuer Wasserstrom aus Glarus
Im vergangenen Jahr lieferten die Schweizer Wasserkraftanlagen über 36 000 Gigawattstunden Strom. Zwei Drittel davon produzierten die vier Kantone Wallis, Graubünden, Tessin und Bern. Man unterscheidet Laufwasserkraftwerke, die eine Strömung nutzen, sowie Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke, bei denen Wasser gestaut wird. Die neueste Anlage ist das Pumpspeicherkraftwerk Limmern in den Glarner Alpen – das grösste seiner Art in der Schweiz. Mit einem Speichervolumen von 23 Millionen Kubikmetern kann dort seit 2017 Strom mit einer Leistung von 1000 Megawatt produziert werden.

Eigentlich hat die Wasserkraft ohnehin schon den Ruf, flexibel zu sein. Das gilt vor allem für die Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke: Ist der Strompreis hoch, kann Wasser durch die Turbinen rauschen. Doch es bestehe Spielraum zur Verbesserung, sagt Energieökonom Hannes Weigt von der Universität Basel, der sich im NFP Energie mit operationellen Fragen befasst hat. So könne man die Betriebsweise anpassen, um auf den kurzfristigen Strommärkten bis zu wenige Minuten vor Lieferung zu handeln. Bisher wird selten so rasch reagiert. Allerdings: «Viel lässt sich durch eine Optimierung nicht herausholen.»

Mehr wäre durch eine flexiblere langfristige Planung zu erreichen, sagt Gaudard. Früher wurde eine Wasserkraftanlage gebaut und lief dann unverändert über Jahrzehnte. Dagegen könne es künftig sinnvoller sein, in neuen Projekten mit kleinen Installationen anzufangen, die später ergänzt werden.

Den Wasserzins reformieren

Für rege Diskussionen sorgte in letzter Zeit eine politische Randbedingung der Wasserkraft: Die Anlagenbetreiber müssen eine Nutzungsgebühr an die Kantone entrichten, den sogenannten Wasserzins. Diesen gibt es schon seit über 100 Jahren. Er war grundsätzlich eine fixe Grösse – und für die Gebirgskantone eine verlässliche Einnahmequelle. Doch neu sind Rufe nach einer Reform laut geworden: Der Wasserzins könnte fliessend an die erzielten Erträge angepasst werden. Auch innerhalb des BFE werden solche Diskussionen geführt. Im NFP Energie spielten die Fachleute mehrere Modelle eines variableren Wasserzinses durch. Als Fazit empfehlen sie, einen Kompromiss zu suchen und dabei sowohl ökonomische als auch soziopolitische Aspekte sowie alle Stakeholder miteinzubeziehen, also etwa die Energiefirmen und die Gemeinden. Aus den Berichten des NFP geht allerdings auch hervor, dass man eine Reform des Wasserzinses nicht überschätzen sollte. Damit lassen sich nicht alle Rentabilitätsprobleme lösen, die der Strommarkt hervorruft.

«Es stellt sich die Frage, was wir zwischen 2035 und 2050 überhaupt noch bauen können.»Christian Dupraz

Über die Zukunft der Schweizer Wasserkraft entscheidet ausserdem die Umweltgesetzgebung mit. Gemäss der Gewässerschutzverordnung müssen Speicherkraftwerke künftig mehr Wasser ungenutzt passieren lassen als bis anhin schon, um die Biotope am Wasserlauf zu schonen. Das verringert die Stromproduktion.

Jedenfalls sind die Aussichten für den Ausbau der Wasserkraft längst nicht mehr so gut wie noch 2012, als das BFE seine erste Potenzialstudie veröffentlichte. Um der Energiestrategie gerecht zu werden, braucht es gemäss einer aktualisierten Einschätzung bis ins Jahr 2035 einen Zuwachs der Produktion von durchschnittlich 83 Gigawattstunden pro Jahr – das entspricht gut zwei Promille. Dies hält das BFE zwar für erreichbar, aber mit einer wichtigen Einschränkung: Das Potenzial, das zuvor für die gesamte Zeit bis 2050 ausgewiesen war, muss bereits bis 2035 ausgereizt werden. «Es stellt sich dann die Frage, was wir zwischen 2035 und 2050 überhaupt noch bauen können», sagt Christian Dupraz, der Leiter der Sektion Wasserkraft am BFE.

Mehr Gletscherseen, mehr Energie

Diese Einschätzung wirkt pessimistisch – als ob das Ausbaupotenzial 2035 ausgeschöpft sei. Das BFE relativiert die Aussage in seinem Monitoringbericht jedoch. Erstens haben die Betreiber für diesen zweiten Bericht weniger umfangreiche Daten eingereicht als 2012. Sie könnten einige Projekte noch geheim gehalten haben. Zweitens wurden in der neuen Potenzialschätzung die Gletscherseen, die mit dem Rückzug der Gletscher als Reservoire frei werden könnten, nicht berücksichtigt. Darum könnte das tatsächliche Ausbaupotenzial um mehrere 100 Gigawattstunden pro Jahr grösser sein, so das BFE in seinem Bericht.

Ein Gletschersee, der schon bald genutzt werden soll, befindet sich unter dem Triftgletscher im Kanton Bern. Dort ist derzeit das einzige grössere Neubauprojekt der Schweiz geplant. In Zukunft soll dieser Stausee 85 Millionen Kubikmeter Wasser speichern, pro Jahr würde das angeschlossene Kraftwerk 145 Gigawattstunden Strom produzieren. Doch um die Ausbauziele der Wasserkraft in der Schweiz zu erreichen, braucht es wesentlich mehr.