Feuchte Luft über der Insel La Réunion: Das Mikrowellen-Radiometer des Instituts für Angewandte Physik der Universität Bern misst den Wasserdampfgehalt der Atmosphäre über dem Indischen Ozean. Die gleiche Technik kommt in der Schweiz zum Einsatz. | Bild: Niklaus Kämpfer

Als die Atmosphärenforschenden der Universität Bern im Jahr 2018 ihre Daten auswerteten, war das Erstaunen gross. Mehr als zehn Jahre lang hatten sie über ihrer Stadt den Wasserdampf in der mittleren Atmosphäre gemessen. Im Unterschied zu den Luftschichten darunter war der Gehalt nicht angestiegen, sondern im Mittel um zwölf Prozent gesunken. «Die Ursachen dafür sind im Moment noch nicht eindeutig klar», sagt Martin Lainer, der inzwischen bei Meteoschweiz in Locarno arbeitet.

Wasserdampf macht nur maximal vier Prozent aller Luftmoleküle aus, ist aber das Gas mit dem grössten Effekt auf das Klima (siehe Kasten rechts). «Atmosphärisches Wasser ist ein entscheidender Parameter für Wetter und Klima», sagt Heini Wernli vom Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. Es kommt in allen Luftschichten vor und trägt in den unteren entscheidend zum natürlichen Treibhauseffekt bei. Lange Zeit war die räumliche und zeitliche Verteilung des Gases nicht genau bekannt. Nun ermöglichen neue Methoden und Instrumente am Boden sowie auf Satelliten, dass der Wasserdampfgehalt besser gemessen werden kann.

Atmosphärisches Rätsel

Der über der Schweiz beobachtete Wasserrückgang in der Mesosphäre, also auf einer Höhe zwischen 60 und 75 Kilometern, ist für die Forschenden überraschend. Da mehr Methan aufgestiegen ist – hauptsächlich aus der Landwirtschaft – und dieses Gas Wasserstoffatome enthält, hätte sich mehr Dampf bilden sollen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das Forschungsteam vermutet, dass sich Luftströmungen in der Mesosphäre geändert haben könnten, die vertikalen wie die horizontalen. Die genauen dynamischen und chemischen Prozesse geben allerdings Rätsel auf. Umso wichtiger sind die Messungen in dieser Atmosphärenregion.

Die Berner Forschungsstation gehört weltweit zu den wenigen, die grundlegende Informationen über den Dampf in der Mesosphäre analysieren. Die Instrumente geben die Daten an das weltweite Bodenstationsnetzwerk NDACC weiter, das in den 1990er-Jahren wegen des Ozonlochs aufgebaut wurde und langjährige Trends oder zyklische Schwankungen erkennen kann. «Unsere Höhenprofile werden zwar nur regional gemessen, sind aber repräsentativ für Mitteleuropa», sagt Klemens Hocke von der Universität Bern.

«Unsere Höhenprofile sind repräsentativ für Mitteleuropa.»Klemens Hocke

In jeder Höhenschicht scheint es dabei unterschiedliche Entwicklungen zu geben. Während der Gehalt in der Mesosphäre sinkt, nimmt er in den beiden untersten Luftschichten zu: der unteren Stratosphäre und der Troposphäre. Diesen Trend bestätigen sowohl die Daten der Berner Station als auch die Messungen, die die Doktorandin Leonie Bernet mobil in der ganzen Schweiz vorgenommen hat.

Vor allem das Wasser in der Troposphäre bestimmt das Klima und das Wetter. Noch wissen die Forschenden nicht genau, wie sich mehr Dampf auf das Tempo der Veränderungen auswirkt. Klar ist: Die von den Menschen verursachten steigenden Emissionen des künstlichen Treibhausgases Kohlendioxid bewirken zunächst eine Erwärmung des Planeten. Dieser Treibhauseffekt wird durch eine Rückkopplung mit Wasserdampf in den unteren Atmosphärenschichten verstärkt. Er wirkt wie ein Mantel, weil er die langwellige Infrarot-Wärmestrahlung der Erde absorbiert und so die Luft aufwärmt. Die aufgewärmte Luft wiederum kann physikalisch mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Deswegen nimmt die Wasserdampfkonzentration in der Schweiz laut Hocke in der unteren Atmosphäre um einige Prozent pro Dekade zu.

Gigantischer Energieverteiler

Die Forschenden wollen nun nicht mehr nur vereinzelte Phänomene in bestimmten Schichten untersuchen, sondern ein globales Bild der atmosphärischen Kreisläufe bekommen. Der Wasserdampfgehalt spielt eine zentrale Rolle für den Strahlungshaushalt der Erde, für Prozesse der Wolkenbildung und damit schliesslich für den Niederschlag. Gleichzeitig ist er für den Transport von Wärme über grosse Distanzen entscheidend. Das natürliche Treibhausgas ist ein gigantischer Energieverteiler und massgebend für die atmosphärische Zirkulation.

In einem gemeinsamen Projekt der ETH Zürich und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) versuchen Klimaforschende nun, Messdaten unterschiedlicher Verfahren und Auflösung und aus verschiedenen Höhenbereichen zu kombinieren und daraus ein dreidimensionales, zeitlich aufgelöstes Modell atmosphärischer Prozesse zu bilden. Bodenstationen erfassen Daten nur über dem jeweiligen Standort. Flugzeuge und Sonden sind in der Lage, die räumliche Verteilung des Wasserdampfs sehr hoch aufgelöst aufzuspüren. Satelliten messen rund um den Planeten die kumulierte Konzentration in vertikaler Richtung.

«Die wärmere Atmosphäre wird immer mehr Wasserdampf aufnehmen können.»Harald Kunstmann

Es ist eine Herausforderung, diese Daten zu kombinieren. Dabei kommen zwei neue Techniken zum Einsatz: Bei der GNSS-Vermessung schätzen Antennen auf dem Boden mithilfe der Zeitverzögerung der Mikrowellensignale von Navigationssatelliten die gesamten dazwischenliegenden Wasserdampffelder ab. Beim SAR-Signal dagegen stört das Wasser die Qualität der Radarbilder, woraus sich dessen räumliche Verteilung in der Troposphäre ermitteln lässt. «Die Kombination all dieser Daten ist methodisches Neuland», sagt Harald Kunstmann vom KIT. «Das gelingt nur mit der interdisziplinären Zusammenarbeit von Physikern, Geodäten und Klimaforschenden. Wir betreiben hier grundsätzliche Methodenentwicklung.»

Können die verschiedenen Daten miteinander verknüpft werden, wird dies auch die Klima- und Wettermodellierung voranbringen. In den vergangenen Jahren wurden die Modelle bereits in die Höhe erweitert. Früher gingen sie nämlich nur bis in eine Höhe von 30 Kilometern, mittlerweile liegt die Grenze bei etwa 70 Kilometern.

Es bleibt anspruchsvoll, den atmosphärischen Wasserkreislauf insgesamt zu modellieren, weiss auch ETH-Forscher Heini Wernli. Gemeinsam mit Matthias Schneider in Karlsruhe verfolgt er einen neuen Ansatz: den atmosphärischen Kreislauf mit unterschiedlich schweren Wassermolekülen (Isotopologen) zu untersuchen. Gemäss theoretischen Studien kann ihre Verteilung wichtige Informationen liefern.

Die Ergebnisse dieser Forschungsprojekte ergeben neue Möglichkeiten, die globale Zirkulation des wichtigen Treibhausgases und seine Rolle im Wettergeschehen und beim Klima noch besser zu verstehen. «Im Zuge des Klimawandels wird die wärmere Atmosphäre immer mehr Wasserdampf aufnehmen können, der gesamte Wasserkreislauf ändert sich dadurch», sagt Kunstmann. «Zur besseren Vorhersage brauchen wir künftig mehr Wasserdampfdaten und erweiterte Modelle.»

Die wichtigsten Treibhausgase
  • Wasserdampf hat den grössten Anteil am Treibhauseffekt: etwa 60 Prozent. Er ist aber nicht der Auslöser der aktuellen Erderwärmung. Höhere CO2-Konzentrationen und damit steigende Temperaturen lassen vor allem in der Troposphäre den Wassergehalt steigen. Die Folge: eine verstärkte Erwärmung.
  • Kohlendioxid ist der entscheidende Treiber der aktuellen Klimaerwärmung. Seit Beginn der industriellen Revolution ist sein Anteil in der Atmosphäre aufgrund der Verbrennung fossiler Treibstoffe, durch die Herstellung von Zement und wegen der Abholzung grosser Waldflächen gestiegen.
  • Methan hat ein hohes Treibhauspotenzial pro Molekül, ist aber weitaus seltener als CO2. Sein Anteil in der Atmosphäre ist heute zweieinhalb Mal höher als in der vorindustriellen Zeit. Es kommt vorwiegend aus der Landwirtschaft – und entweicht aktuell aufgrund der Klimaerwärmung auch aus aufgetauten Permafrostböden.
  • Ozon spielt in der Troposphäre eine wichtige Rolle in der Strahlungsbilanz der Erde. Es entsteht dort aus Kohlenmonoxid und Methan. Der Ozongehalt ist seit der vorindustriellen Zeit um fast 40 Prozent gestiegen.
  • Industrielle Gase wie Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) befinden sich zwar nur in geringen Anteilen in der Atmosphäre, sind jedoch sehr langlebig und haben einen starken Treibhauseffekt.