Ideen der Studierenden nutzen
Marco Mazzotti | Illustration: 1kilo

Marco Mazzotti | Illustration: 1kilo

«Für einen echten Wandel müssen wir zuallererst die Kultur ändern», sagt Marco Mazzotti vom Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Als die ETH Zürich 2017 all ihre Departemente aufforderte, Reduktionsziele für Treibhausgase und Massnahmen festzulegen, involvierte der Professor von Beginn weg Studierende genauso wie Postdocs. Auch bei den Massnahmen stehen Studierende nun im Zentrum: finanziert von einer CO2-Abgabe auf Flüge, können Studierende ab 2019 konkrete Projekte im Rahmen der Nachhaltigkeitsziele durchführen. «So werden sich jedes Jahr Hunderte von Studierenden Gedanken machen und Erfahrungen sammeln, wie die Wissenschaft nachhaltiger werden kann», sagt Mazzotti.

Ins Flüeli statt in die USA
Daniel Helbling | Illustration: 1kilo

Daniel Helbling | Illustration: 1kilo

Über 40 000 Onkologinnen und Onkologen fliegen jedes Jahr zum Kongress der Amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie. Einige Spezialisten aus der Schweiz dagegen reisen lieber ins stille Flüeli-Ranft im Kanton Obwalden. Sie treffen sich parallel zum fünftägigen Anlass in den USA während dreier Tage in einem Jugendstil-Hotel. Ein Programmkomitee und Kundschafter in den USA haben bereits Vorarbeit geleistet und aus den insgesamt 4000–5000 Beiträgen die für die Klinik wichtigsten ausgewählt. «Ein grosser Zeitgewinn für die Teilnehmenden», sagt Daniel Helbling vom Onkozentrum Zürich, ein Initiator des Schweizer Treffens. Einen Tag zeitversetzt schauen sich die Schweizer Ärztinnen und Ärzte die Vorträge auf Video an, diskutieren sie untereinander und immer wieder per Videoschaltung auch mit den Referenten. «Wir sparen Zeit, Geld und rund 133 Tonnen Kohlendioxid jährlich», sagt Helbling. «Früher war ich nach diesen Konferenzen erschöpft und vom Riesenangebot erschlagen. Heute bin ich erholt und gut informiert.»

Nur an drei Konferenzen fliegen
Gisou van der Goot | Illustration: 1kilo

Gisou van der Goot | Illustration: 1kilo

Geschockt vom Ausmass der CO2-Emissionen durch Geschäftsreisen an der EPFL, fasst Gisou van der Goot einen ambitionierten Plan: den Treibhausgasausstoss an ihrer Fakultät für Life Sciences zu halbieren. «Wir ermutigen unsere Assistenzprofessoren, nur drei internationale Konferenzen pro Jahr in ihr Promotionsdossier aufzunehmen», sagt die Dekanin der Schule. Wissenschaftlicher Austausch bleibt selbstverständlich wichtig, dazu möchte van der Goot eine erstklassige Infrastruktur für Videokonferenzen anschaffen und während internationaler Konferenzen regionale oder nationale Hubs organisieren. Noch tüftelt die Schulleitung am richtigen Mix der Massnahmen. «Wir sind in Trendsetter-Stimmung», sagt van der Goot.

 

Der ökologische Fussabdruck der Forschung

Selbst wenn das Klima ihr Schwerpunkt ist, sorgen Forschende für viel CO2-Austoss. Dabei müssten sie nicht einmal auf ihre Reisen verzichten, um 40 Prozent des Treibhausgasausstosses reduzieren zu können. Der Kluge reist im Zuge. Und fliegt in der Economyclass. Zahlen von der ETH Zürich und der EPFL zeigen dies eindrücklich.

 

Ausstoss Treibhausgase nach Grund Geschäftsreise pro Jahr in tCO2-eq
1 Professor gleich 11 PhDs / 40 Prozent liessen sich einsparen – ohne weniger zu reisen
Zahlen: Die Forschungsgruppe Nicolas Gruber an der ETH Zürich hat nach Grund für Geschäftsreisen unterteilt. Andere Analysen von der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL). | Illustration: 1kilo

Ideen gegen Treibhausgase

Die ETH Zürich hat mobilisiert: Alle Departemente und die Verwaltung mussten festlegen, wie sie den Ausstoss an Treibhausgasen reduzieren möchten. Zusammengekommen ist eine Vielzahl an Ideen und ein Reduktionsziel von elf Prozent pro Kopf bis 2025. Die Massnahmen gelten seit Januar 2019. Eine Auswahl an Ideen.

Wenn Sie mit der Maus über die Bilder fahren, erhalten Sie mehr Informationen.

ETH-Regularien auf Klimatauglichkeit prüfen

CO2-Abgabe auf Flügen

Schulungen für Videokonferenzen

Emissionen kompensieren

Real-time Monitoring

Emissionen in Hochschulrankings

1.-Klasse-Tickets für lange Bahnfahrten

Keine Flüge für Posterpräsentationen

Auszeichnung für nachhaltiges Reisen

Entscheidhilfe für Flugreisen

Emissionswerte pro Professor intern offenlegen

Emissionswerte pro Professor intern offenlegen
Wie der Ausstoss an Treibhausgasen reduziert werden kann. | Illustration: 1kilo

«Ökologisch verantwortungsvolles Verhalten darf kein Hemmschuh für die  Karriere sein»

Klimaforscher Reto Knutti von der ETH Zürich engagiert sich lieber national und fliegt nie nur für einen Tag interkontinental: Ein Interview über die Schwierigkeit, sich als Forschender umweltbewusst zu verhalten.

Reto Knutti forscht an der ETH Zürich und ist Präsident von ProClim, dem Forum für Klima und globalen Wandel der Akademie der Naturwissenschaften. | Illustration: 1kilo

Reto Knutti forscht an der ETH Zürich und ist Präsident von ProClim, dem Forum für Klima und globalen Wandel der Akademie der Naturwissenschaften. | Illustration: 1kilo

Die ETH möchte bis 2025 durch Geschäftsreisen 11 Prozent weniger Treibhausgase verursachen. Genügt das?

Nein, aber es ist ein wichtiger erster Schritt. In der Schweiz fliegen wir immer mehr. An der ETH leiten wir jetzt eine Trendwende ein.

Aber die nächsten 89 Prozent werden wohl schwieriger.

Nicht unbedingt. Es braucht einen tiefgreifenden Wandel. Wer als wissenschaftlich exzellent gelten möchte, muss international unterwegs sein. Bei der Auswahl von Konferenzen, Partnern oder Feldstudien spielt Distanz heute einfach keine Rolle. All dies zu ändern ist wohl der schwierigste Teil. Die Diskussionen dazu führen wir jetzt.

Ist eine globale Wissenschaft ohne Flüge möglich?

Mit viel weniger Flügen sicher. In einzelnen Fällen braucht es eine Präsenz vor Ort, etwa bei neuen Partnerschaften.

Was riskieren Forschende und Institutionen, die vorpreschen?

Gerade für jüngere Forschende ist es schwierig. Sie müssen sich etablieren. Wir dürfen deshalb nicht nur fordern, sondern müssen die Bewertungskriterien ändern. Ein ökologisch verantwortungsvolles Verhalten darf kein Hemmschuh für eine Karriere oder für Exzellenz sein. Für Institutionen hat der Wandel auch Vorteile. Die tatsächlichen Kosten der Herumfliegerei werden stark unterschätzt. Ich denke etwa an den Zeitaufwand, den Jetlag und die Familie.

Ist die Wissenschaft in der Pflicht?

Klar. Bei einem globalen Problem wie dem Klimawandel darf es keine Trittbrettfahrer geben, alle müssen beitragen. Nicht nur Forschende. Schliesslich fliegen Herr und Frau Schweizer pro Kopf weiter als ein ETH-Forscher in seinem Beruf.

Wie halten Sie es mit dem Fliegen?

Ich engagiere mich mittlerweile mehr national und finde hier genauso relevante Projekte wie in Übersee. Dabei fliege ich möglichst wenig, nie Businessclass und nie interkontinental nur für einen Tag.