Hat die Patientin verstanden? Die geeignete Kommunikationsstrategie und eine gute Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen kann die Wirksamkeit eines Spitals verbessern. | Bild: Shutterstock

Es dürfte eigentlich niemals stattfinden: Bei einer Operation wird ein Tupfer, eine Kompresse oder sogar eine Pinzette im Innern des Patienten vergessen. Trotzdem passiert es in der Schweiz jedes Jahr bei einer von 8000 Operationen – und das, obwohl über das gebrauchte Material im Operationssaal genau Buch geführt wird. Wie zahlreiche Untersuchungen zeigen, treten diese Fehler häufig bei unerwarteten Komplikationen oder bei Schichtwechseln im Team auf. Und manchmal traut sich schlichtweg niemand zu sagen, dass ein Tupfer fehlt.

«In einem Spital arbeiten viele verschiedene Berufsgruppen zusammen, von denen jede über ein spezielles Fachwissen verfügt», erklärt die Gesundheitssoziologin Julie Page von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Damit das vorhandene Wissen aber auch optimal eingesetzt werden könne und die Teamarbeit klappe, brauche es eine gute Koordination.

Patientin (hat Tränen in den Augen)«In letzter Zeit ist so viel auf einmal passiert: Mein Sohn hat Probleme in der Lehre, meine Mutter ist dement geworden, und ich hab Angst um meine Stelle.»
Ärztin (blättert in den Unterlagen): «Wann haben wir eigentlich die Leberwerte das letzte Mal kontrolliert?»Patientin (42) mit Alkoholproblemen bei der Hausärztin. Ein echtes, aber anonymisiertes Beispiel aus dem Alltag in der Klinik, genauso wie die Beispiel weiter unten.

Doch im Spital funktioniert diese interprofessionelle Zusammenarbeit nicht immer gut. Ein wichtiger Grund dafür sieht Page in den Prestigeunterschieden zwischen den Gesundheitsberufen: «Dies verhindert Diskussionen zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, die aus soziologischer Sicht für eine Weiterentwicklung nötig wären.» Page räumt zwar ein, dass es ganz ohne Hierarchien nicht gehe: «Aber warum soll immer der Arzt oder die Ärztin entscheiden, warum nicht auch einmal die Pflegenden, wenn es der Situation entspricht?» Sie ist überzeugt, dass dadurch auch weniger Fehler passieren: «Wer mehr Mitsprache hat, ist auch mehr involviert.»

Simulator für Notfallteams

Andere Regeln brauchen hingegen Teams, die in Notfallsituationen zusammenarbeiten müssen – wie etwa im Schockraum der Notaufnahme. Wenn es um Leben oder Tod geht, bleibt wenig Zeit, sich in einem langwierigen Prozess als Team zu finden. In grösseren Spitälern kennen sich einige Teammitglieder manchmal gar nicht.

Wie die Teamarbeit in solchen Situationen trotzdem funktioniert, untersucht die Psychologin Michaela Kolbe als Leiterin des Simulationszentrums des Universitätsspitals Zürich. Ähnlich wie in einem Flugsimulator trainieren dort Teams von Ärzten und Pflegenden den Umgang mit Notfallpatienten – etwa einem Unfallopfer mit einem blockierten Atemweg oder einer Frau mit schweren Blutungen nach einer Geburt. Die Szenarien sind lebensecht gestaltet. Nur der Patient wird durch eine Puppe verkörpert. Anhand von Beobachtungen und Videoaufzeichnungen besprechen speziell geschulte Simulationsinstruktoren mit den Teams gemeinsam, welche persönlichen Annahmen und Teamdynamiken ihre Handlungen beeinflusst haben und warum.

Die Simulationen zeigen Kolbe, welche Faktoren eine erfolgreiche Zusammenarbeit behindern: «Eine der grössten Schwierigkeiten ist, dass die Rollenverteilung nicht explizit angesprochen wird. Jeder denkt, es ist sowieso klar, wer was macht – aber dann ist es plötzlich doch nicht so klar.» Deshalb empfiehlt Kolbe in einem kurzen Time-out am Anfang abzusprechen, wer welche Funktion übernimmt. Sie rät ihren Teams auch, gerade in Stresssituationen alle zehn Minuten für zehn Sekunden innezuhalten, um die Situation neu zu überdenken. «Das ist kontraintuitiv und für Kliniker enorm schwierig, weil sie glauben, dass es zu viel Zeit kostet. Doch in Wirklichkeit gewinnt man Zeit, weil weniger Fehler passieren.»

Arzt: «Jetzt ist es womöglich doch passiert: Da ist ein Fleck auf der Lunge!»
Patient: «Ein Fleck? Was heisst das?»
Arzt: «Wahrscheinlich ein Krebs, aber das müssen wir erst mal histologisch abklären.»
Patient (wirkt erschüttert, schaut auf den Boden)
Arzt: «Ich schlage vor, wir machen einen Termin auf der Pneumologie. Die müssen schauen, wie sie an den Tumor am besten rankommen und dann eine Gewebeprobe entnehmen. Soll ich versuchen, in der nächsten Woche schon einen Termin zu bekommen?»
Patient: «Was für einen Termin?»Routinekontrolle mit Raucher (53)

Doch es gibt noch einen anderen wichtigen Grund, weshalb Fehler im Spital passieren – und das nicht nur in Notfällen: «Oft sagen Teammitglieder nichts, wenn sie einen Fehler bemerken oder eine Anweisung nicht richtig verstehen», sagt Kolbe. «Die Hürden für eine offene Kommunikation sind im Spital unermesslich hoch.» Deshalb müssen ihrer Ansicht nach die Teamleiterinnen und -leiter klarstellen, dass ein solches Speaking-up erwünscht ist: Indem sie ihre Mitarbeitenden explizit dazu auffordern und dann auch positiv reagieren, wenn sich tatsächlich jemand traut.

Der Effekt solcher Simulationsübungen lässt sich nur schwer mit Zahlen beziffern, da viele andere Faktoren Einfluss haben. Doch anhand von Umfragen hat Kolbe bestätigt, dass die Teilnehmenenden ihre Erkenntnisse aus den Simulationen in der Praxis umsetzen. So verläuft beispielsweise nach Angaben von Rettungssanitätern die Übergabe von Notfallpatientinnen und -patienten an das Spitalteam nun geordneter und effizienter. Auch eine am Universitätsspital Basel unter Leitung von Sabina Hunziker durchgeführte Vergleichsstudie zeigte, dass Medizinstudierende bei der Wiederbelebung effektiver handelten, wenn sie neben technischen Anweisungen auch Instruktionen bezüglich Koordination und Führung erhielten. Der gemessene Effekt hielt zudem mehrere Monate lang an.

Internet macht Patienten anstrengend

Während die Patientinnen und Patienten bei Notfällen und Operationen nicht viel mitbestimmen können, sieht die Situation im Spitalalltag ganz anders aus. «Seit vielen Jahrzehnten gibt es Bestrebungen, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen», erklärt der Kommunikationswissenschaftler Peter Schulz, Direktor des Instituts für Kommunikation und Gesundheit der Università della Svizzera italiana (USI). Dazu gehört vor allem, dass Ärztinnen nicht über die Köpfe der Patienten hinweg entscheiden, sondern diese in Entscheidungsprozesse mit einbeziehen. Eine Metastudie, die Schulz mit Kollegen durchgeführt hat, zeigt, dass sich dieses sogenannte Patient Empowerment durchaus lohnen kann: «Wenn der Patient aktiv in die Entscheidungsfindung einbezogen wird, so wirkt sich das positiv auf die Zufriedenheit und den Gesundheitsstatus des Patienten aus.» Allerdings seien die gemessenen Effekte eher klein.

Ärztin: «Ich stelle Ihnen noch ein paar Fragen zu den Krankheiten in ihrer Familie …»
Patient: «Ja.»
Ärztin: «Gibt es Krebserkrankungen?»
Patient: «Ja, meine Mutter ist vor einem Monat an Brustkrebs gestorben.»
Ärztin: «Mh… ist Ihnen sonst noch etwas bekannt?»Ärztin fragt nach der Krankheitsgeschichte eines Patienten (37) mit Bauchschmerzen

Deshalb interessiert Schulz vor allem, unter welchen Bedingungen das Patient Empowerment funktioniert. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, dass die Patientin oder der Patient über die entsprechende Gesundheitskompetenz verfügt – also die Befähigung hat, sich Informationen über Gesundheit und Krankheit zu verschaffen und diese auch richtig einzuordnen. Doch das ist nicht immer der Fall: So zeigt eine Studie von Schulz, dass sich viele ältere Menschen damit überfordert fühlen. Etwa ein Fünftel der befragten Senioren würde es demnach bevorzugen, wenn der Arzt sie weniger in Entscheidungsprozesse miteinbezieht und eine eher väterliche Rolle einnimmt.

Zu viel Patient Empowerment kann laut Schulz unter Umständen sogar gefährlich werden – nämlich dann, wenn Patienten ihre eigene Gesundheitskompetenz überschätzen: «Vor allem durch das Internet geraten Patienten oft an falsche oder widersprüchliche Informationen und wollen dann gegen den Rat ihres Arztes handeln.» Wenn Patienten mit solchen Fehlinformationen kommen, seien viele Ärztinnen und Ärzte überfordert – einige reagierten verärgert, andere liessen die Patienten einfach gewähren. Schulz hält es deshalb für wichtig, dass Ärztinnen lernen, im Gespräch mit Patienten mit solchen Situationen umzugehen.

Gesprächsführung für Ärztinnen und Ärzte

«Ein patientenzentriertes Gespräch heisst nicht, dass der Patient gewinnt», sagt auch Wolf Langewitz vom Universitätsspital Basel. Der emeritierte Professor für Psychosomatik und medizinische Kommunikation hat zahlreiche Publikationen darüber verfasst, wie ein erfolgreiches Patientengespräch strukturiert sein muss – und dabei geht es nicht nur darum, dass die Patientin am Ende zufrieden ist. Wichtig ist auch, dass die Ärztin alle relevanten Informationen vom Patienten bekommt und der Patient die Anweisungen des Arztes richtig versteht: «Darum darf die Ärztin die Führung und Verantwortung für das Gespräch nicht einfach aus der Hand geben mit der Begründung, den Patienten in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen zu wollen.»

Er rät Ärzten deshalb, gleich zu Beginn Inhalt und Zeitrahmen des Gesprächs mit der Patientin zusammen klar zu definieren. Innerhalb dieses Rahmens erhält der Patient den Raum, seine Anliegen und Sorgen anzubringen. Mit Hilfe verschiedener Gesprächstechniken können Ärzte ihre Patientinnen dabei unterstützen: So können etwa bewusste kurze Gesprächspausen den Patienten dazu anregen, noch mehr zu erzählen. Eine kurze Wiederholung des Gesagten stellt sicher, dass die Ärztin alles richtig verstanden hat und dass der Patient nichts mehr ergänzen möchte.

Patientin (ungedudig): «Wie ist das jetzt, darf ich am Wochenende nach Hause?»
Arzt: «Also, wir haben ja das Triatec erhöht, darum ist der Puls auch noch mal ein bisschen raufgegangen. Da müssen wir mal schauen, wie Sie das verkraften. Das kann gut rauskommen und das Herz wird wirklich entlastet, es kann so mittelgut rauskommen, dann wird das Herz zwar entlastet, aber Sie haben ein bisschen Nebenwirkungen, oder es kann schlecht rauskommen, dann vertragen Sie die höhere Dosis überhaupt nicht. Da müssen wir mal schauen, wie sich Blutdruck und Puls verhalten und dann auch noch Ihr Gewicht; Sie wissen ja, das ist für uns ganz wichtig, für das Herz und das Einstellen der Medikamente. Sie dürfen aber gerne im Gang rumlaufen, also auch jetzt schon, da kann nicht viel passieren. Also: Läuten Sie der Schwester, wenn Ihnen schwindlig wird.»
Patient: «Ja, darf ich jetzt nach Hause oder nicht?»Routinekontrolle mit Raucher (53)

In vielen medizinischen Fakultäten der Schweiz werden angehende Mediziner mittlerweile in der Kommunikation mit Patienten geschult. Das Pflichtprogramm für Basler Medizinstudierende, das Langewitz mitentwickelt hat, umfasst dabei neben der Theorie zu Gesprächstechniken simulierte Patientengespräche mit Schauspielerinnen und -spielern sowie das professionelle Verhalten beim Überbringen schlechter Nachrichten. Langewitz bedauert allerdings, dass die Ausbildung nach Abschluss des Studiums nicht weitergeht: «Leider gibt es nur in wenigen Spitalabteilungen ein obligatorisches Kommunikationstraining.» Denn auch erfahrene Medizinerinnen, Pflegende und Therapeuten können in diesem Bereich noch einiges dazulernen: Dies zeigt das Beispiel des Paraplegiker-Zentrums Nottwil, wo eine regelmässige Kommunikationsschulung und Supervision des Kaderpersonals zu einer Verbesserung der Patientenzufriedenheit geführt hat.

Dolmetscher: übersetzen oder vermitteln?
Ein Drittel der Patienten in Spitalambulanzen beherrscht die Landessprachen nicht, so Wolf Langewitz vom Universitätsspital Basel. Ärzte ziehen deshalb oft Dolmetscher aus dem gleichen Land oder Kulturkreis wie die Patienten bei. Ihre genaue Rolle sorgt allerdings für Diskussionen: Viele sind der Ansicht, dass die Dolmetscher beim Übersetzen kulturelle Missverständnisse zwischen Ärztin und Patient aus dem Weg räumen sollen. Andere glauben dagegen, dass hierdurch die Kommunikation zwischen Arzt und Patient verfälscht wird. Sie plädieren für eine möglichst eng am Gesagten bleibende Übersetzung. Eine von der ZHAW und dem Universitätsspital Basel durchgeführte Studie zeigt, dass auch die Dolmetscher in ihrer Funktion unsicher sind: Sie bezeichnen sich zwar als neutral, greifen in der Praxis aber dann doch oft vermittelnd ein.

Yvonne Vahlensieck ist freie Wissenschaftsjournalistin in der Nähe von Basel.