Véronique Dasen ist Professorin für Archäologie an der Universität Freiburg. | Foto: Nicolas Brodard

Véronique Dasen, in Ihrer Gruppe arbeitet eine Forscherin aus der Ukraine als Scholars-at-Risk-Mitarbeiterin. Wie sind Sie in Kontakt gekommen?

Ich kannte Oksana Ruschynska bereits. Sie war Professorin in Charkiw, ist an einem meiner Forschungsprojekte beteiligt und hat ein Kapitel in einem meiner Bücher geschrieben. Ich konnte also problemlos ein für sie passendes Projekt formulieren. Sie ist zudem eine sehr entschlossene Persönlichkeit.

Haben Sie mit ihr Kontakt aufgenommen, als Russland die Ukraine angriff?

Ich habe ihr sofort auf Whatsapp geschrieben, und sie erzählte mir, dass sie in einer gefährlichen Gegend wohne. Ihr Haus wurde später bombardiert, und ihre 17-jährige Tochter, die mit ihr in der Schweiz ist, hat jetzt wegen einer Druckwelle gesundheitliche Probleme. Ich bin sehr beeindruckt, wie die beiden mit ihrer Situation umgehen.

«Ich wäre auch bereit, russische Forschende aufzunehmen, die in Gefahr sind, da ist der Prozess aber komplizierter.»

Wie gut funktionierte der Prozess für ihre Anstellung?

Perfekt. Ich fragte in meinem Institut nach einem Arbeitsplatz, und Oksana erhielt die Mittel von Scholars at Risk. Sie ist nun als Senior Researcher anerkannt. Sie sagte mir, dass ihr Leben vorbei wäre, wenn sie nicht mehr forschen könnte. Sie brauchte dann aber noch den S-Ausweis des Staatssekretariats für Migration, bevor sie arbeiten konnte. Bis dahin half ihr meine Universität mit einer Art Stipendium, wie Studierende sie erhalten, wofür ich sehr dankbar bin. Es war nicht viel Geld, aber Oksana erhielt eine Campuskarte, eine E-Mail-Adresse der Universität – Dinge, die einem das Gefühl geben, dazuzugehören. Ihre Universität in Charkiw ist zerstört.

Hatten Sie vorher je daran gedacht, über Scholars at Risk jemanden einzustellen?

Ja, aber der Kontaktaufbau ist nicht so einfach. Man schreibt nicht über Facebook eine Stelle für Scholars at Risk aus. Ich wäre auch bereit, russische Forschende aufzunehmen, die in Gefahr sind, da ist der Prozess aber komplizierter. Dank der Sonderbewilligung für Forschende aus der Ukraine war alles einfacher: ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man schnell wirksame Massnahmen treffen kann, wenn man wirklich will.

«Jetzt, wo wir die Chance haben, rasch und effizient zu helfen: Tun wir es!»

Hat Ihre Forschungsgruppe Sie unterstützt?

Ja, sehr. Meine Postdoktorandin lieh Oksana in den ersten Wochen sogar die Wohnung. Alle halfen mit; bei der Administration, bei Behördengängen, aber auch bei der Suche nach Möbeln.

Ist es das erste Mal, dass Sie in einer solchen Situation gehandelt haben?

Nach meinem Doktorat arbeitete ich mehrere Jahre als Freiwillige für die NGO Coordination Droit d’Asile. Ich weiss, wie kompliziert das System in der Schweiz ist. Wir halfen Menschen aus Kurdistan, Zaire, Sri Lanka. Wir kämpften damals schon für Flüchtende. Jetzt, wo wir die Chance haben, rasch und effizient zu helfen: Tun wir es!