Bundesrat Guy Parmelin ist seit drei Jahren zuständig für Bildung und Forschung. | Foto: Fabian Hugo/13 Photo

Guy Parmelin, die EU hat stets betont, dass eine Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe erst möglich sei, wenn die Frage der institutionellen Zusammenarbeit mit der Schweiz gelöst sei. Wie soll es weitergehen?

Die Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe ist das klare Ziel des Bundesrats. Die politische Verknüpfung der institutionellen Fragen mit der sehr erfolgreichen Forschungszusammenarbeit, die die EU vornimmt, entspricht natürlich nicht unserer Sicht der Dinge. Die Dossiers haben nichts miteinander zu tun. Der Bundesrat ist davon überzeugt, dass die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz und der EU am besten durch die Fortsetzung des bewährten bilateralen Wegs gesichert werden und nicht durch ein neues Rahmenabkommen. Die Schweiz wird mit der EU über einen breiten Paketansatz das Gespräch suchen.

Georgien, Armenien und die Türkei sind weniger integriert und trotzdem voll assoziiert. Eine Ungerechtigkeit?

Es ist nicht an mir, diese Assoziierungen zu kommentieren.

In der Covid-19-Pandemie sind Spannungen zwischen Politik und Wissenschaft entstanden, besonders mit der Swiss National Covid-19 Science Task Force.

Die Kompetenzen und Empfehlungen der Taskforce waren ein zentraler Pfeiler bei der Pandemiebewältigung. Das heisst nicht, dass immer alles perfekt war. Aber wissen Sie, diese Pandemie hat zwischenzeitlich alle, auch die Politik und die Verwaltung auf allen staatlichen Ebenen, an ihre Grenzen gebracht. Und alle haben wir aus der Pandemie etwas gelernt. Die Wissenschaft beispielsweise, dass es bisweilen eine verständlichere Sprache zuhanden der Nichtakademiker braucht. Und die Politik, dass Forschung innerhalb von Modellen arbeitet und immer nur den aktuellen Wissensstand formulieren kann.

Vom Weinbauern zum Bundesrat
Guy Parmelin, heute Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), wurde 2015 nach zwölf Jahren im Nationalrat für die SVP in den Bundesrat gewählt. Davor führte er zusammen mit seinem Bruder den väterlichen Hof mit einem Weingut in der Nähe von Nyon (VD). Er hat das Gymnasium mit Schwerpunkt Latein und Englisch abgeschlossen und verfügt über ein eidgenössisches Meisterdiplom in Weinbau.

Wäre eine wissenschaftliche Taskforce auch für andere dringende Themen wie Umwelt, Nachhaltigkeit oder Digitalisierung sinnvoll?

Ich glaube, dass unser Land bezüglich «science for policy» grundsätzlich über genügend funktionierende Gremien und Instrumente verfügt. Wir haben die von den Fachämtern organisierte und interdepartemental koordinierte Ressortforschung, dann den Schweizerischen Wissenschaftsrat als Beratungsorgan des Bundesrats sowie die Akademien der Wissenschaften Schweiz mit ihren Fachgremien in allen Wissenschaftszweigen.

Braucht es anstatt mehr wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel nicht eher mehr mutige Entscheidungen?

Die Schweiz will bis 2050 unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen. Das hat der Bundesrat 2019 beschlossen. Doch ob wir dieses Ziel erreichen oder wie schmerzhaft der Weg sein wird, hängt unter anderem von innovativen Lösungen ab.

An einem Besuch der Eawag im Oktober 2019 haben Sie erklärt, dass Forschende des ETH-Bereichs die Regierung nicht öffentlich kritisieren sollten. Möchten Sie die Forschungsfreiheit eingrenzen?

Die Wissenschaft und die Politik kommen nicht immer zu den gleichen Schlüssen. Das liegt in der Natur der Sache. Die Wissenschafts- sowie die Meinungsäusserungsfreiheit sind für mich Rechte, die ich nicht antaste. Die Eawag-interne Notiz zu einer Sitzung mit mir möchte ich entsprechend nicht noch einmal kommentieren.

«Eine Grenze als solche sollte es bei den internationalen Studierenden und Professorinnen nicht geben.»

Sollte das Forschungszentrum Agroscope anstatt zur Bundesverwaltung nicht eher zum ETH-Bereich gehören?

Das ist eine berechtigte Frage. Agroscope betreibt allerdings nicht nur Forschung und Wissenstransfer, sondern erarbeitet auch Grundlagen für die Agrarpolitik und hat Vollzugsaufgaben. Es unterstützt die Landwirtschaft dabei, wirtschaftlich und nachhaltig zu produzieren, indem es Wissen erarbeitet und weitergibt. Heute wird Landwirtschaft mit den Themen Ernährung, Gesundheit und Umwelt ergänzt, die auch in anderen Departementen als dem WBF beheimatet sind. Derzeit ist Agroscope aber mitten in der Umsetzung der neuen Standortstrategie. Stellen Sie die Frage nach Abschluss im Jahr 2028 noch einmal!

Das Gentechnikmoratorium ist schon fast 20 Jahre alt. Hat die Wissenschaft inzwischen nicht genügend Antworten für eine Entscheidung geliefert?

Bei einem solchen Entscheid zählt nicht nur die Stimme der Naturwissenschaft. Es muss ein gesellschaftlich breit abgestützter Entscheid sein, bei dem verschiedenste Interessen und Meinungen berücksichtigt werden müssen. Was wollen die Konsumenten, was die Landwirtinnen? Falls neue Technologien, die kein artfremdes Erbgut in die Pflanzen hineinbringen (also durch Crispr Genome-Editing, Anm. d. Red.), einen Mehrwert für Landwirtschaft, Umwelt und Konsumentinnen haben, soll auch geprüft werden, ob und wie diese vom Moratorium ausgenommen werden können.

Die Hochschulen ziehen viele internationale Studierende und Professorinnen an. Sehen Sie eine politische Obergrenze?

Internationalität und internationale Vernetzung sind gerade in Forschung und Lehre von zentraler Bedeutung. Eine Grenze als solche sollte es daher nicht geben.

«Die verschiedenen Ausbildungswege sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden.»

Die SVP kritisiert regelmässig die Akademisierung des Landes. Verteidigen Sie diese gegenüber Ihrer Partei?

Wir haben in der Schweiz seit vielen Jahren einen Trend zu tertiären Abschlüssen – dazu zählen nicht nur die Hochschulen, sondern auch die höheren Fachschulen und die eidgenössischen Berufsprüfungen. Das ist gut. Diese Qualifikationen werden gebraucht! Die verschiedenen Ausbildungswege sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir haben Bedarf an Fachkräften mit unterschiedlichem Wissen und Fertigkeiten. Darum ist es mir auch wichtig, Sorge zur erfolgreichen und international einmaligen dualen Berufsbildung zu tragen.

Bisher konnte man mit einer Lehre bis zur CEO oder zum Bundesrat aufsteigen. Wird das so bleiben?

Ich bin überzeugt davon, dass die Schweiz ihren Trumpf nicht aus der Hand geben wird. Er beschert uns einen hervorragenden Fachkräftepool. Unsere Berufsbildung hat bei der Jugend, den Eltern und in der Wirtschaft einen sehr hohen Stellenwert. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Tradition enden sollte.

Wie nehmen Sie als Nichtakademiker die universitäre Welt wahr und wie fühlen Sie sich von ihr wahrgenommen?

Ich habe viele gute Kontakte mit der akademischen Welt. Im beruflichen Umfeld ist es mir wichtig, dass meine Mitarbeitenden aus Erfahrungen lernen. Oft spielt der Ausbildungsweg dabei nicht die entscheidende Rolle. Unterschiedliche Erfahrungen und Lebenswege sind in Teams für alle ein Gewinn, das erlebe ich jeden Tag. Wie die akademische Welt mich wahrnimmt, müssen Sie die Betroffenen selber fragen.

«Der Bund muss durch die Pandemie und die Folgen des Krieges Schulden und hohe Mehrausgaben bewältigen.»

Angenommen, Ihr Kollege Ueli Maurer besorgt Ihnen zusätzliche 500 Millionen. Was würden Sie damit machen?

Ich würde die Hälfte für Innovationsförderung in KMU einsetzen und die andere für den Zugang von Jugendlichen und Erwachsenen zu anerkannten Aus- und Weiterbildungen. Innovation und berufliche Perspektiven sind ein wichtiger Erfolgsfaktor unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Leider wird Ihr Szenario in den nächsten Jahren kaum eintreten: Der Bund muss durch die Corona-Pandemie und die Folgen des Kriegs in der Ukraine Schulden und hohe Mehrausgaben bewältigen.

Welche Forschenden würden Sie auf eine Kreuzfahrt einladen?

Unsere letzten Nobelpreisträger Kurt Wüthrich, Jacques Dubochet sowie Michel Mayor und Didier Queloz. Wir würden die Fahrt für die Diskussion grundsätzlicher Fragen nutzen, etwa darüber, was unsere Existenz ausmacht und was die Welt letztlich zusammenhält.