Hefepilze vergären Getreide zu Alkohol, Milchsäurebakterien fermentieren Gemüse und machen es haltbar: Der Mensch kennt diese Phänomene seit Jahrtausenden. Doch dass dafür lebende Organismen verantwortlich sind, wissen wir erst seit relativ kurzer Zeit. Die Entwicklung des Mikroskops machte ab Ende des 17. Jahrhunderts Mikroben überhaupt sichtbar, 1856 beschrieb Louis Pasteur erstmals die Vorgänge bei der alkoholischen Gärung. Er konnte zeigen, dass dabei nebst Ethanol noch zahlreiche andere Stoffe entstehen – und eröffnete damit die Möglichkeit, gezielt verschiedene chemische Substanzen durch mikrobielle Prozesse herzustellen.

Eine solche Methode erreichte im Ersten Weltkrieg industrielle Dimension: Glycerin wurde als Zwischenprodukt bei der Gärung von Zucker durch Hefe in grossen Mengen gewonnen und für Sprengstoffe verwendet. Später nutzten die Lebensmittel- und die Pharmaindustrie Mikroben im grossen Stil, Letztere für die Produktion von Wirkstoffen. Doch die Forschung erschliesst immer neue Einsatzgebiete. Mit den Instrumenten der Gentechnik lassen sich heute etwa Bakterien mit unterschiedlichsten Fähigkeiten ausstatten. Dass solche Organismen seit 1980 patentiert werden können, hat der Wissenschaft zusätzlichen Schub verliehen. Und heute tun sich weitere Anwendungsfelder auf.

So eine Mikrokapsel aus bakterieller Zellulose könnte einmal mit Medikamenten gefüllt werden. | Foto: zVg

In Form gewachsene Schleimschichten
Anwendung: Gluconacetobacter xylinus macht Zellulosekapseln.
Erfunden im: Laboratory of Food Process Engineering, ETH Zürich

Auf verschiedenen Oberflächen können sich Schleimschichten aus Bakterien bilden. Diese sogenannten Biofilme bestehen aus den Mikroben selbst, aber auch aus Stoffen, die sie absondern. Das Bakterium Gluconacetobacter xylinus haust in einem Schleim mit grossem Zelluloseanteil.

Das wollen Forschende um Peter Fischer von der ETH Zürich nutzen. Sie siedeln Gluconacetobacter xylinus gezielt auf dreidimensionalen Formen an, die dann mit Zellulose überzogen werden, wenn ein Biofilm entsteht. Auf kleinen Tröpfchen, einer Öl-Wasser-Emulsion, ist das bereits gelungen. «Die Herausforderung besteht darin, den Bakterien die richtigen Wachstumsbedingungen zu bieten, damit sie sich vermehren und wie gewünscht Zellulose produzieren», sagt Fischer.

Ist dies einmal passiert, wird die entstandene Struktur ausgewaschen, also von den Bakterien selber befreit. Übrig bleibt eine Mikrokapsel aus bakterieller Zellulose, die mit Inhaltsstoffen wie zum Beispiel Medikamenten befüllt werden kann. Das heute übliche Pendant aus synthetischen Polymeren findet in Kosmetik, Medizin, Landwirtschaft und vielen weiteren Bereichen Verwendung. Doch bakterielle Zellulose bietet neue Materialeigenschaften, und Produktion und Abbau sind dazu noch umweltverträglich.

Cyanobakterien in diesen Röhren könnten im Prinzip dauerhaft Fotosynthese betreiben und Wasserstoff produzieren. | Foto: zVg

Gentechnisch veränderte Solarzellen
Anwendung: Cyanobakterien produzieren Wasserstoff.
Erfunden im: Laboratory of Nanobiotechnology, EPFL

Pflanzen und viele Bakterienarten nutzen das Sonnenlicht zur Fotosynthese, mit der sie Wassermoleküle in Sauerstoff und Wasserstoff spalten. Der Mensch hat Verfahren entwickelt, die diese Prozesse mit synthetischen Materialien nachahmen. Denn die Produktion von Wasserstoff bietet sich in idealer Weise an, um das riesige Potenzial der Solarenergie zu nutzen: Er lässt sich lagern und später wiederum zur Energiegewinnung verbrennen.

Forschende der EPFL wollen zu diesem Zweck Solarzellen entwickeln, in denen die natürlichen Prozesse der Fotosynthese nicht nur imitiert, sondern von Bakterien gleich selber umgesetzt werden. «Das hätte eine Reihe von Vorteilen», erklärt Ardemis Boghossian, die das Projekt leitet. «Solche Solarzellen wären verhältnismässig günstig, und sie könnten sehr robust sein. Als lebende Systeme könnten sie je nach Wetterlage eine unterschiedliche Lichtmenge absorbieren, sich im Falle von Lichtschäden selbst reparieren und sich sogar selbst reproduzieren.»

Allerdings ist die Effizienz solcher Anlagen bisher gering. Unter anderem schränkt die isolierende äussere Hülle der Bakterien die Energieübertragung auf einen externen Stromkreis ein. Ardemis Boghossian und ihr Team verändern deshalb das Erbgut verschiedener Bakterienstämme, damit diese einen Stoffwechsel entwickeln, der den Stromfluss begünstigt.

Aus dem Molybdänsulfid (dunkles Metall) können Bakterien teure Nanopartikel mit nützlichen Eigenschaften herstellen. | Foto: Science Photo Library

Metall atmen für Supraleiter
Anwendung: Shewanella oneidensis stellt Nanopartikel aus Molybdänsulfid her.
Erfunden im: Rensselaer Polytechnic Institute, New York

Wenn das Bakterium Shewanella oneidensis Luft atmet, überträgt es Elektronen auf Sauerstoffatome. Doch es kann auch in sauerstofffreien Umgebungen leben. Dann atmet es anstelle des Sauerstoffs metallische Verbindungen und haftet Elektronen an diese Materialien. Forschende des New Yorker Rensselaer Polytechnic Institute haben in Versuchen Shewanella oneidensis verschiedene Metallverbindungen atmen lassen und diese so mit Elektronen angereichert. Nach einigem Probieren haben sie dabei einen Ausgangsstoff gefunden, aus dem auf diese Weise Nanopartikel des Materials Molybdänsulfid entstehen.

Dieses ist in der Forschung derzeit sehr begehrt, denn es besitzt besondere elektronische, magnetische und supraleitende Eigenschaften, die wie bei Graphen von seiner aussergewöhnlichen zweidimensionalen Struktur herrühren. Im vergangenen Sommer konnten etwa Basler Forschende dank Molybdänsulfid erstmals einen atomar dünnen Halbleiter mit supraleitenden Kontakten versehen. Doch bisher ist die synthetische Herstellung des Materials aufwändig. Das Verfahren benötigt unter anderem bis zu zehnfachen atmosphärischen Druck. Mit der bakteriellen Produktion könnte Molybdänsulfid in Zukunft sehr viel einfacher gewonnen werden.

Das historisches Wrack des Kriegsschiffes Vasa zerfällt langsam durch chemische Prozesse, die bakteriell gestoppt werden könnten. | Foto: Walter Bibikow/mauritius images

Archäologische Funde konservieren
Anwendung: Verschiedene Bakterien und Pilze entfernen Schadstoffe.
Erfunden im: Laboratoire de technologies pour les matériaux du
patrimoine, Universität Neuenburg

Versunkene Schiffe sind oft erstaunlich gut erhalten – bis sie geborgen werden. In den Jahren der Versenkung hat Eisen mit Schwefel reagiert und Eisensulfide gebildet, die sich in der Holzstruktur der Schiffe ablagern. Kommen Sulfide mit Sauerstoff in Kontakt, setzen sich chemische Reaktionen in Gang, die das Holz schwer schädigen. Techniken, welche diese Prozesse verhindern sollen, sind nicht immer erfolgreich.

Deshalb gehen Edith Joseph und ihr Team von der Universität Neuenburg und der Fachhochschule Westschweiz einen neuen Weg. Ihre Idee: das noch nasse Holz mit Bakterien behandeln, deren Stoffwechsel Eisen- und Schwefelverbindungen abbaut. «Unser Ziel ist es, die Schadstoffe mit Hilfe der Bakterien oder deren Stoffwechselprodukten zu entfernen, ohne aber andere Schäden an den historischen Objekten anzurichten», sagt Edith Joseph.

Eine von ihr entwickelte Kur, die dank des Stoffwechsels von Pilzen Metallskulpturen vor Korrosion schützt, wird von Restauratoren bereits angewendet. Die neuen Holzbehandlungen testen die Forschenden noch, unter anderem an Holzproben, die sie vor vier Jahren im Bielersee vergraben haben. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. Sie könnten künftige Funde vor dem Schicksal des berühmten Kriegsschiffes Vasa aus dem 17. Jahrhundert bewahren, das in seinem Stockholmer Museum langsam, aber stetig zerfällt.

Eine Biolaugung kann aus Elektroschrott wertvolle Rohstoffe herauslösen. | Foto: Christophe Archambault/AFP

Seltene Erden aus Elektroschrott lösen
Anwendung: Mehrere Bakterienarten recyceln Kobalt, Lithium, Indium und Neodym.
Erfunden im: Central Environmental Laboratory, EPFL

Über 50 Millionen Tonnen Elektroschrott fielen gemäss Global E-Waste Monitor im Jahr 2019 weltweit an. Doch nur ein minimaler Teil wird recycelt. Obwohl sich darin beträchtliche Mengen an sogenannten kritischen Rohstoffen wie etwa seltene Erden befinden, bei denen die Versorgungslage in absehbarer Zukunft schwierig werden könnte. Doch die Ausbeute ist gering, die Verfahren sind energieintensiv und gefährlich für die Umwelt. Nun wollen Pierre Rossi und weitere Forschende der EPFL eine einfachere und effizientere Technik entwickeln: Bakterien, die für ihren Stoffwechsel Metalle umwandeln, sollen die begehrten Rohstoffe in lösliche Zustände überführen. Das Verfahren nennt sich Biolaugung und wird in der Bergbauindustrie bereits weltweit eingesetzt.

«Diese speziellen Laugen eignen sich allerdings nicht für das Recycling von Elektroschrott», sagt Pierre Rossi. «Sie reagieren empfindlich auf hohe Metallkonzentrationen und auf organische Stoffe, die aus den Altgeräten freigesetzt werden.» Sein Team entwickelt deshalb eine Anwendung mit Bakterienarten, die auch in Elektroschrott gedeihen. In Laborexperimenten konnten sie bereits erfolgreich beträchtliche Anteile von Kobalt und Lithium sowie Seltene-Erden-Elementen wie Indium und Neodym aus alten Mobiltelefonen und Platinen lösen.