Die erste Kampfpilotin der Schweizer Luftwaffe Fanny Chollet posiert im Februar 2019 vor einer F/A 18. | Bild: Keystone/Laurent Gilliéron

Philadelphia, April 2018. Zwei Personen warten in einem Starbucks auf einen Bekannten. Der Betreiber des Cafés ruft die Polizei mit der Begründung, dass bei ihm zwingend etwas konsumiert werden müsse. Ein viral gegangenes Video zeigt, wie die Polizei die Unschuldigen in Handschellen abführt – beide Afroamerikaner. Der Vorfall löst eine Demonstration aus. Ergebnis: Der Direktor der Kette entschuldigt sich und kündigt an, dass seine 8000 Mitarbeitenden eine Schulung zu impliziten Vorurteilen besuchen werden.

Implizite Vorurteile existieren. Unser Gehirn assoziiert automatisch gewisse Eigenschaften mit gewissen Gruppen von Menschen. Mit Tests ist dies messbar. Am bekanntesten ist der implizite Assoziationstest, der 1998 von einer Psychologin der Harvard University entwickelt wurde. Er misst die Reaktionszeit, in der eine Person gewisse Assoziationen macht, in Millisekunden. Eine Mehrheit der Testpersonen braucht länger, um «gut» mit «schwarz» zu assoziieren als mit «weiss»; oder «Wissenschaft» mit «Frau» als mit «Mann». Dies soll ein Vorurteil aufzeigen – bewusst oder unbewusst. Der Test ist besonders durch Studien zu Diskriminierungen aufgrund von Ethnie, Geschlecht oder Alter bekannt geworden.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich dieser Test trotz einer gewissen Kritik als aussagekräftiges wissenschaftliches Werkzeug etabliert. Zahlreiche Forschungsarbeiten wiesen nach, dass kognitive Verzerrungen (Bias) existieren. Eine wesentliche Frage bleibt: Hat das Vorhandensein eines impliziten Bias bei einer Person wirklich Auswirkungen auf ihr Verhalten?

Bewusst wirkt mehr als unbewusst

Zwei aktuelle Studien zeigen interessante Zusammenhänge zwischen impliziten Bias und realem Verhalten. Die erste wurde im Sommer 2019 publiziert. Getestet wurde ein Gremium von 40 Expertinnen und Experten während ihrer Evaluation der Bewerbungen auf leitende Posten in der Forschung im französischen Centre national de la recherche scientifique (CNRS). Analysiert wurde, ob die Evaluation weibliche Bewerbungen diskriminiert. «Unser Ansatz ist ganz neu», erklärt Isabelle Régner, Professorin am Labor für Kognitionspsychologie der Universität Aix- Marseille. «Wir haben damit reale Evaluationsgremien in allen wissenschaftlichen Disziplinen unter die Lupe genommen, von Mathematik bis Soziologie.»

Für die Studie absolvierten die Mitglieder des Evaluationsgremiums einen impliziten Assoziationstest. Dieser ergab: Über 70 Prozent der Mitglieder haben ein Bias, indem sie Wissenschaft mit Männern assoziieren. Die Expertinnen und Experten füllten ausserdem einen Fragebogen aus, in dem sie gefragt wurden, worin ihres Erachtens der Grund liege, dass Frauen weniger häufig in Führungspositionen berufen werden. Sind es innere Faktoren wie Kompetenzen oder Motivation oder externe Hürden wie Vorurteile bei der Bewerbung und andere Barrieren bei der Beförderung. Dieser zweite Test prüfte somit das explizite Bias.

«Ein implizites Bias allein vermag Diskriminierung nicht zu erklären»Isabelle Régner

Die Studie wurde in zwei Phasen durchgeführt. Im ersten Jahr informierte die Generaldirektion das Evaluationsgremium über die laufende Forschungsarbeit. Die Mitglieder trafen ziemlich ausgeglichene Entscheidungen – ohne Zusammenhang mit ihrem unbewussten oder bewussten Vorurteil. Im zweiten Jahr wurde das Evaluationsgremium nicht über die Fortsetzung der Studie informiert. Es zeigte sich, dass die Mitglieder, die zu ihrem unbewussten auch ein bewusstes Vorurteil hatten, weniger Frauen ernannten als die Mitglieder, die nur ein unbewusstes, aber kein bewusstes Vorurteil hatten. «Ein implizites Bias allein vermag somit die Diskriminierung nicht zu erklären», fasst die Autorin die Studie zusammen. «Erst in Kombination mit einem expliziten Bias gab es einen Einfluss auf die Entscheidungen der Gremien.» Die Studie zeigt auch, dass es einen Effekt hat, wenn die Leute wissen, dass sie beobachtet werden.

Eine Studie des Institut européen d’administration des affaires bei Paris zeigte 2017 subtile Effekte von unbewussten rassistischen Vorurteilen bei Managerinnen einer Supermarktkette gegenüber ihren Mitarbeiterinnen (tatsächlich wenig Männer). Analysiert wurde die Situation von Kassierinnen mit Temporärverträgen. Das Human-Resources-System weist die Mitarbeiterinnen jeden Tag zufällig einer Managerin zu. Ein impliziter Assoziationstest ergab ein rassistisches Bias bei 80 Prozent der Managerinnen.

«Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung: Die Managerinnen haben Vorurteile gegenüber Minderheiten, was die Produktivität der Mitarbeiterinnen vermindert, was die Managerinnen wiederum in ihrer Meinung bestärkt.»Dylan Glover

Die Studie untersuchte den Einfluss der Herkunft der Mitarbeiterinnen: Kassierinnen aus Minderheiten (Nordafrika oder Subsahara) waren häufiger abwesend und begingen mehr Fehler, wenn sie unter einer Managerin arbeiteten, die Vorurteile hatte, als unter einer anderen. «Interessant ist der Grund für den Leistungsrückgang», betont der Studienleiter und Ökonom Dylan Glover. «Während unserer Befragung erwähnte keine Mitarbeiterin, dass diese Managerinnen sich unangenehm oder offen rassistisch verhielten. Im Gegenteil, sie bemerkten von deren Seite weniger Interaktionen und erhielten sogar weniger undankbare Aufgaben wie Reinigungsarbeiten zugewiesen.» Offenbar führte die durch das Vorurteil ausgelöste verminderte Interaktion dazu, dass die Leistung schlechter ausfiel. «Unsere Studie weist darauf hin, dass implizite Bias nicht unbedingt die Wirkung auf das Verhalten haben, die wir vielleicht erwarten würden», fährt Glover fort. «Es handelt sich eher um eine selbsterfüllende Prophezeiung: Die Managerinnen haben Vorurteile gegenüber Minderheiten, was die Produktivität der Mitarbeiterinnen vermindert, was die Managerinnen wiederum in ihrer Meinung bestärkt.»

Schulungen nützen vielleicht nicht

Sollten Supermärkte also Schulungen durchführen, damit die Verantwortlichen an ihren unbewussten Vorurteilen arbeiten? Nein, sagt der Ökonom Glover. Es seien weitere Studien notwendig, um den Nutzen solcher Massnahmen zu belegen.

Die Untersuchung beim Evaluationsgremium des CNRS kam zum Schluss, dass vor allem auf das Vorhandensein unbewusster Vorurteile, diskriminierender Verhaltensweisen gegenüber Frauen und externer Hürden aufmerksam gemacht werden müsste. «Doch das Thema muss noch mit weiteren Studien vertieft werden, bevor systematische Strategien erarbeitet werden. Daran sind wir derzeit», sagt die Psychologin Isabelle Régner.

Insgesamt zeichnet die Forschung derzeit ein uneinheitliches Bild. Zu diesem Schluss kommt eine Metaanalyse über 492 Studien zur Änderung solcher Vorurteile. «Die Fachliteratur kann bisher weder die Wirksamkeit noch die Unwirksamkeit von Schulungen zur Änderung impliziter Bias belegen», erklärt der Autor, Patrick Forscher, Postdoktorand an der Universität Grenoble Alpes. Sie zeigt auch nicht, ob die bewirkten Änderungen tatsächlich eine Wirkung auf konkrete diskriminierende Verhaltensweisen haben. «Mit dem heutigen Kenntnisstand wissen wir das nicht.» Dies dürfte die vielen Unternehmen und Einrichtungen, die Schulungen über implizite Bias für ihre Mitarbeitenden bezahlen, nachdenklich stimmen.