«Die Boxer.» Trifft die Beschreibung dieses Bild? | Bild: Pascal Gygax et al. (2019)

Wenn wir «die Musiker» hören, denken wir zuerst an Männer, die Instrumente spielen, nicht an eine Gruppe Männer und Frauen. Diese Neigung ist in der frühen Kindheit verankert. Schon zwischen drei und fünf Jahren gehen Kinder nämlich davon aus, dass mit der männlichen Form auch tatsächlich Männer gemeint sind. Dies zumindest zeigt die Forschung des Psychologen Pascal Gygax von der Universität Freiburg.

Sein Team untersuchte, wie 52 französischsprachige Kindergartenkinder aus Genf und Lausanne mit der Doppeldeutigkeit der grammatikalisch männlichen Form umgehen. Die Forschenden zeigten den Kindern jeweils zwei Zeichnungen: entweder ein Paar mit zwei Jungen oder ein Paar mit einem Mädchen und einem Jungen. Sie forderten die Kinder auf: «Schau die Boxer an!» – «Schau die Coiffeure an!» – «Schau die Musiker an!» Die Paare trugen jeweils die Attribute, die diesen Berufsgruppen zugeschrieben werden. Die Forschenden beobachteten die Augenbewegungen mit einem Eyetracker.

Bei stereotypen männlichen Berufsbezeichnungen wie Boxer blickten die Kinder eher auf das Jungenpaar, bei stereotypen weiblichen wie Coiffeure eher auf das gemischte Paar. Bei einem neutralen Berufsbild wie Musiker dagegen dominierte das grammatikalische Geschlecht ihre Reaktion. Obwohl die Kinder noch keinen Grammatikunterricht hatten, also nicht gelernt haben, was die männlichen und was die weiblichen Endungen und Adjektive sind, verstanden sie die männliche Form spezifisch, nicht generisch.

«Das ist nicht sehr ermutigend», sagt Gygax. «Es bedeutet, dass Kinder schon in diesem Alter anfangen, eine voreingenommene Perspektive auf die Gesellschaft zu haben.» Besonders stark war diese Tendenz übrigens bei Mädchen. Gygax erklärt: «Weil sie normalerweise mit der weiblichen Form angesprochen werden, ist für sie die männliche Form diejenige, die sie nicht betrifft.»

Pascal Gygax et al.: Exploring the Onset of a Male-Biased Interpretation of Masculine Generics Among French Speaking Kindergarten Children. Frontiers in Psychology (2019)