Mit 150 Gebäuden und 920 Einwohnern diente das toggenburgische Hemberg Forschenden als Testfall für eine Simulation des Energieverbrauchs im Jahr 2050. | Bild: N. Mohajeri et al. (2019)

Die Städte werden in den nächsten Jahren enorm wachsen und sollten die Umstellung auf grüne Energie vorantreiben. Wie sie sich planerisch entwickeln, hat auch einen wesentlichen Einfluss auf ihr Energiesystem: die Integration erneuerbarer Energien, die Wärmeeffizienz von Gebäuden und den Energieverbrauch. Dies zeigt eine Studie von Nahid Mohajeri am Labor für Solarenergie und Gebäudephysik der EPFL. Sie hat zunächst einmal am Beispiel eines Dorfes die Auswirkungen von zwei Wachstumsszenarien auf das Energiesystem verglichen: das Szenario Verdichtung, insbesondere mit höheren Gebäuden, und das Szenario Ausdehnung – in die Umgebung.

Das Besondere am Vorgehen: Die Forschenden führten 2017 und 2018 eine umfassende Datensammlung einer ganzen Gemeinde durch. Im sankt-gallischen Hemberg wurde jedes der 150 Gebäude, in denen insgesamt 920 Personen wohnen, einzeln untersucht. «Mit Softwaretools wie QGIS oder CitySim haben wir dann verschiedene Entwicklungsszenarien in den nächsten 30 Jahren erstellt», erklärt die ehemalige EPFL-Postdoc, die heute an der Oxford University tätig ist. «Wir analysierten zuerst die Entwicklung der Bevölkerung und der Gebäude, dann die Entwicklung der Energieeffizienz der Gebäude und schliesslich die Produktion erneuerbarer Energien in Verbindung mit den Kosten der Technologien. Dann kombinierten wir diese Ergebnisse, um die Auswirkungen der jeweiligen Siedlungsform auf das gesamte Energiesystem zu berechnen. Das ist eine Premiere, da bisherige Arbeiten die Siedlungsformen in Verbindung mit nur einem einzigen Aspekt des Energiesystems analysierten.»

«Mit einer verdichteten Bauweise lässt sich die Wärme besser in den Gebäuden halten.»Nahid Mohajeri

Die Simulationen zeigen beispielsweise, dass 2050 in Hemberg voraussichtlich 1300 Personen leben und diese den Strom und die Heizenergie zu über 75 Prozent aus einem Mix aus lokaler Wind- und Solarenergie beziehen werden. Durch die Klimaerwärmung wird demnach die Nachfrage nach Gebäudekühlung um 115 Prozent zunehmen, gleichzeitig sinken die Kosten für die Energietechnologien um 50 Prozent.

Die Verdichtung zeigt sich dabei – kaum überraschend – als beste Lösung. «Der grosse Unterschied besteht im wesentlich geringeren Energiekonsum als beim Szenario Ausdehnung», präzisiert Nahid Mohajeri. «Mit einer verdichteten Bauweise lässt sich insbesondere die Wärme besser in den Gebäuden halten. Der Schwachpunkt hingegen besteht darin, dass auf den Dächern weniger Platz für Solarpanels zur Verfügung steht. Jede Siedlungsform hat ihre Vor- und Nachteile, die es gegeneinander abzuwägen gilt. In gewissen Städten mit sehr hohen Gebäuden ist aufgrund des Schattens oder des knappen Raums für Solarpanels eher eine Ausweitung zu empfehlen.»

Energiefrage vor Design

Dem stimmt auch Christian Schaffner zu, Leiter des Energy Science Center der ETH Zürich. Die übrigen Vorteile der Verdichtung dürfe man aber nicht ausser Acht lassen, insbesondere mit Blick auf die Mobilität oder den geringeren Bodenverbrauch Ausserdem könne man Solarpanels auch ausserhalb der Stadt platzieren – sogar in den Alpen.

«Derzeit wird die Frage nach der Energieversorgung häufig zu spät gestellt.»Christian Schaffner

Viel Potenzial liege in der gleichzeitigen Berücksichtigung der Stadtausdehnung und der Änderungen am Energiesystem. «Dies kann den lokalen Verantwortlichen bei Entscheidungen helfen. Derzeit wird die Frage nach der Energieversorgung häufig zu spät gestellt: Die Planung fängt zuerst mit den Gebäuden und den Strassen an. Das müsste aber genau umgekehrt sein.» Lösungen für die Energiewende müssen multidisziplinär erarbeitet werden, wie in der Studie Hemberg: «Es braucht Fachpersonen aus den Disziplinen Psychologie, Soziologie, Wirtschaft, Stadtplanung und Architektur, die mit Ingenieuren zusammenarbeiten. Technische Lösungen existieren, aber die Umsetzung bleibt komplex.»

Inzwischen entwickelt Nahid Mohajeri ihr Simulationsmodell weiter. «Wir wollten anhand eines Dorfes zeigen, dass es robust ist. Nun werden wir es an grösseren Städten testen.» Eine wesentlich aufwendigere Arbeit mit immensen Datenmengen. Die Forscherin ist zuversichtlich: «Ich bin überzeugt, dass dies den Städten helfen wird, grüner zu werden.»