INTERNATIONALE KONZERNE
Strategiespiel mit Firmenchefs im Ausland
Die gefühlte Nationalität eines multinationalen Unternehmens kann entscheidend dafür sein, ob ein Standort auch turbulente Zeiten übersteht. Sie wird bewusst auf die jeweilige Situation abgestimmt.

Lokale Verankerung: 2013 wird in der Dong Nai Provinz von Vietnam eine neue Fabrik für löslichen Kaffee eingeweiht. | Foto: Nestlé
«Die Nationalität eines Unternehmens ist nie etwas Ontologisches, sondern wird konstruiert und laufend hinterfragt», meint Sabine Pitteloud, Assistenzprofessorin für Zeitgeschichte an der Fernuniversität Schweiz in Brig. Zusammen mit dem Unternehmenshistoriker Pierre-Yves Donzé befasste sie sich mit der Frage, wie multinationale Firmen ihre Präsenz in politisch instabilen Ländern gestalten. Die beiden Forschenden analysierten den Fall Nestlé anhand der Privatarchive des Unternehmens in 14 Ländern, unter anderem in Belgisch-Kongo, Indien, Japan und in der Türkei im Zeitraum von 1950 bis 1980.
Sie identifizierten drei Strategien in der Personalpolitik. Erstens investierte das Unternehmen in die Ausbildung von lokalen Führungskräften. «Dadurch wollte man sich die Unterstützung des Managements im Fall von Unruhen sichern », erklärt Pitteloud. Als Zweites wurde die Nationalität dem politischen Kontext angepasst. Wenn das Gastgeberland gute Beziehungen zur Kolonialmacht unterhielt, bevorzugte die Firma Führungskräfte dieser Nationalität.
Nach den Unabhängigkeitsbewegungen setzte sie jedoch auf Schweizer Führungskräfte – wegen der Neutralität des Landes. Als Letztes pries Nestlé Auslandaufenthalte als berufliches Sprungbrett an und sicherte sich so einen Pool von Bewerbungen. Ein aktueller Fall, die Ablösung eines französischen Managers durch einen russischen Nachfolger im Jahr 2023 an der Spitze von Nestlé Russland, deutet darauf hin, dass diese Strategien nach wie vor praktiziert werden, so die Schlussfolgerung der im Mai 2025 veröffentlichten Studie.
Pitteloud vermutet: «Die erneut sehr starke Politisierung der Handelsbeziehungen im Zuge der Massnahmen der US-Regierung wird zwangsläufig einen Einfluss darauf haben, wie ein multinationales Unternehmen sein Führungspersonal auswählt und sich damit darstellt».