Diversität an den Hochschulen findet Claudia Brühwiler entscheidend, das gelte aber auch für ideologische. | Bild: Ladina Bischof

Claudia Brühwiler, Bundesbehörden werden aufgelöst, Forschungsgelder gekürzt, Institutionen wie die Columbia University angegriffen. In Ihrem Podcast «Grüezi Amerika» sind Sie auf die Wissenschaftsfeindlichkeit in den USA eingegangen. Was passiert da?

Es ist fast wie ein Fiebertraum der konservativen Bewegung.

Was hat denn Konservatismus mit Wissenschaftsfeindlichkeit zu tun?

In den USA gibt es unterschiedliche Haltungen gegenüber dem wissenschaftlichen Fortschritt und seiner Rolle in der Gesellschaft. Der USLiberalismus orientiert sich an einem technokratischen Gesellschaftsverständnis. Die ideale Regierung lässt sich von Fachwissen leiten. Die Konservativen verschliessen sich dagegen seit Anfang des 20. Jahrhunderts gegenüber gewissen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Gefragte Kommentatorin

Claudia Franziska Brühwiler (43), Professorin für amerikanisches politisches Denken und Kultur an der Universität St. Gallen, lancierte kurz nach den letzten US-Präsidentschaftswahlen den Podcast «Grüezi Amerika». Sie hat diverse Forschungsaufenthalte an verschiedenen amerikanischen Universitäten absolviert, unterrichtet Politik, Geschichte und Kultur der USA und ist als Kommentatorin der aktuellen Entwicklungen gefragt.

Zum Beispiel?

Den Auftakt machte der berühmte Scopes-Prozess im Jahr 1925: Ein Biologielehrer wollte das Verbot der Evolutionstheorie an Schulen in Tennessee anfechten. Er verlor, doch der Fall führte zu einem politischen Erwachen im sogenannten Bible Belt. Für die konservative Bewegung, die nach dem Zweiten Weltkrieg erstarkte, haben Tradition und Glauben einen höheren Stellenwert als Wissenschaft. Dies zeigt sich im Widerstand gegen den Evolutionsunterricht oder in den relativ stark verbreiteten konfessionellen Schulen. Im Konservatismus werden die Elite-Hochschulen als Gegner der USA wahrgenommen.

Was machen diese Institutionen in ihren Augen denn falsch?

Konservative kritisieren die Zusammensetzung der Fakultäten, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die akademische Welt in den USA sei ideologisch nicht divers. Tatsächlich zeigten Umfragen bis in die späten 90er-Jahre, dass weniger als 50 Prozent der Professorinnen und Professoren sich selbst als progressiv oder sehr progressiv bezeichneten. In einer aktuellen Umfrage der Harvard University lag dieser Anteil bei über 75 Prozent, und weniger als drei Prozent bezeichneten sich als konservativ. Dies führt zu einer Segregation in Bezug auf Themen und Menschen. In meinem Fachgebiet Politiktheorie habe ich mit konservativen Themen weniger Chancen, in angesehenen Fachzeitschriften zu publizieren. Ein Bekannter von mir wurde aus seiner Fakultät gemobbt, weil er dort der letzte – sehr gemässigte – Konservative war. Leute mit konservativen Ansichten sammeln sich deshalb an bestimmten Universitäten wie etwa dem christlichen Hillsdale College oder der evangelikalen Liberty University.

«Die Zensur gewisser Rednerinnen auf dem Campus wurde auch von Studierenden angeheizt, die sich nicht unwohl fühlen wollten.»

Konservative auszuschliessen ist also ein Fehler?

Ich halte Diversität in jeder Hinsicht für wichtig. Das gilt auch für ideologische Diversität, die an Hochschulen ebenfalls vertreten sein sollte. Der beschriebene Trend ist nicht neu und existiert auch in Europa, doch die Situation in den USA ist explosiver. Es sind Institutionen betroffen, die einen hohen Status haben und als Wegbereiter zur Macht gelten, wie Harvard, Yale, Princeton und Columbia. Zwei Faktoren haben zur Feindseligkeit gegenüber Hochschulen beigetragen: die Meinungsäusserungsfreiheit und die Politik zu Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion, bekannt als DEI.

Weshalb?

In den letzten Jahrzehnten begrenzten insbesondere Eliteuniversitäten die Möglichkeit, konservative Ideen zu äussern und darüber zu diskutieren. Die Studierenden sollen sich physisch und psychisch sicher fühlen können, auch was Ideen betrifft. Die Zensur gewisser Rednerinnen auf dem Campus wurde auch von Studierenden angeheizt, die sich nicht unwohl fühlen wollten. Dies war etwa der Fall bei Linda Thomas-Greenfield, der Uno-Botschafterin der USA, die ihr Veto gegen drei Uno-Resolutionen zu einem Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas einlegte und die mehrfach ausgeladen wurde.

Das betrifft Meinungsäusserungsfreiheit. Wie sieht es bezüglich DEI-Politik aus?

Wir sind es den Menschen schuldig, gleiche Bedingungen für alle zu schaffen. Einige Schutzinitiativen sind notwendig, zum Beispiel zur Verhinderung von Suizid oder zum Schutz von Menschen mit Behinderungen oder von neurodiversen Menschen. Viele Massnahmen gingen jedoch darüber hinaus. So hat die University of Virginia für 20 Millionen Dollar sechs DEI-Mitarbeitende pro 100 Personen an akademischem Personal eingestellt. Das war entweder eine Fehlinvestition oder ein ideologischer Entscheid – jetzt werden die Mittel drastisch gekürzt.

«Hier liegt die grösste Ironie des Vorgehens der Regierung: Im Namen der Meinungsfreiheit hat sie die Meinungs-, Ideen- und Forschungsfreiheit beschnitten.»

Befürworten Sie also die aktuelle Politik der Trump-Regierung?

Nein, nein, nein! Meine Aufgabe als Akademikerin ist es, Phänomene zu verstehen und zu erklären, denn nur so lassen sich Lösungen finden. Ich glaube, eine Anpassung des Hochschulsystems in den USA war notwendig, doch nun wird übertrieben. Auch viele konservative Intellektuelle sind über das radikale Vorgehen besorgt. Sie haben zum Beispiel nicht mit Angriffen auf die Naturwissenschaften und die medizinische Forschung gerechnet.

Diese Entscheide von oben beeinträchtigen ja auch die akademische Freiheit.

Ja. Vor dieser Präsidentschaft gab es bereits weniger Meinungsfreiheit, was aber einem Konsens innerhalb der akademischen Gemeinschaft entsprang. Sie wurde nicht mit derart brachialen Methoden durchgesetzt, und es war möglich, die Einschränkungen offen zu kritisieren. Hier liegt die grösste Ironie des Vorgehens der Regierung: Im Namen der Meinungsfreiheit hat sie die Meinungs-, Ideen- und Forschungsfreiheit beschnitten, und zwar mit noch schlimmeren Massnahmen, als sie der Gegenseite vorwirft.

Wie wirkt sich diese Politik vor Ort aus?

Sie ist zerstörerisch und kontraproduktiv. Nachwuchsforschende, vor allem in den Naturwissenschaften und der Medizin, sind auf Bundesmittel angewiesen. Viele Projekte liegen auf Eis, weil sie Stichworte benutzten, die jetzt nicht mehr im Trend sind. Da viele Fördervereinbarungen nicht eingehalten werden, wird die Regierung derzeit zum unzuverlässigsten Partner, den man sich vorstellen kann. Renommierte Forschende verlassen das USSystem oder hegen solche Pläne. Die wissenschaftliche Dominanz der USA ist gefährdet. Sie stellt den Grossteil der Soft Power der USA, der Möglichkeit, Forschungsthemen zu setzen.

«Die Schweizer Bevölkerung identifiziert sich stärker mit staatlichen Institutionen und Hochschulen und ist stolz auf diese.»

Hat die aktuelle Situation auch einen Einfluss auf Ihre Arbeit?

Ich habe keine Projekte mit Forschenden aus den USA. Ich bin nur indirekt betroffen, weil ich mich häufig zur US-Politik äussere. Ich sage ganz offen, dass ich diesen Angriff auf die Wissenschaft für schwerwiegend und illegal halte, obwohl ich verstehe, woher er kommt. Wenn ich auf die lange Geschichte dahinter weise, denken die Leute, ich würde die Massnahmen gutheissen. Das tue ich nicht. Meine Kollegen gehen nicht einfach weg: Sie arbeiten, beobachten, kommentieren. Problematisch wird es, wenn sie auf Bundesgelder angewiesen sind.

Vier Professorinnen aus den USA wollten kein Interview zur Wissenschaftsfeindlichkeit geben. Gewisse Kommentatoren sagen, dass sich Wissenschaft mit neuen Regimes arrangiert. Sollten die Forschenden lauter sein?

Viele warten wohl noch ab. Es ist bekannt, dass die Trump-Administration häufig zuerst radikal auftritt, später aber doch Kompromisse möglich sind. Zudem sind nicht alle einfach still. Ich sehe viele Bewegungen und Kommentare, auch von Konservativen an Hochschulen. An Institutionen halten es wohl viele für klüger, sich etwas anzupassen.

In Ihrem Podcast ziehen Sie Parallelen zwischen den Demokratien in der USA und der Schweiz. Kommt die Krise auch zu uns?

Das glaube ich nicht. Die Kluft zwischen der Schweizer Bevölkerung und den Hochschulen ist kleiner. Es gibt weniger Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber der akademischen Welt. Die Schweizer Bevölkerung identifiziert sich stärker mit staatlichen Institutionen und Hochschulen und ist stolz auf diese.