Wer Studierende begeistert, bekommt kaum Lorbeeren. Die Stars der Forschung haben nicht unbedingt herausragende pädagogische Fähigkeiten. So bleibt an den Unis die Lehre ein Stiefkind. | Foto: Christian Beutler/Keystone

«Wir müssen aufhören, die universitäre Lehre als Last zu sehen.» In einer Kolumne, die Anfang Jahr auf der Website der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, rief Peter Copeland, Professor für Erd- und Atmosphärenwissenschaften an der Universität Houston in den USA, die Hochschulen dazu auf, pädagogischen Aktivitäten einen höheren Stellenwert einzuräumen. «Es wird exzellente Forschung erwartet, aber die Messlatte für die Lehre liegt weit weniger hoch, und zwischen den beiden Tätigkeiten besteht oft kaum eine Verbindung», klagt Copeland.

«Die Lehre spielt de facto keine Rolle.»Guido Gefter

In der Schweiz ist der Befund ähnlich. «Es zählt vor allem die Forschung», beobachtet Guido Gefter. Der Spezialist für japanische Sprache erhielt 2021 an der Universität Zürich den Credit Suisse Award for Best Teaching. Die lokale Auszeichnung für die beste Lehre wird von der Studierendenschaft verliehen und ist mit 10 000 Franken dotiert. «Wenn sich die Universitäten in erster Linie als Orte der Forschung sehen, dann ist dieses Ungleichgewicht durchaus verständlich», urteilt der Japan-Kenner. «Zwar werden Forschung und Lehre meist in einem Atemzug als Hauptaufgaben der Universitäten genannt. Eine wissenschaftliche Karriere ist allerdings nur auf der Grundlage von Leistungen in der Forschung möglich. Die Lehre spielt de facto keine Rolle.»

Gefter bezeichnet seine eigene pädagogische Methode als «traditionell», ironischerweise sogar als «nicht professionell ». Kreide und Tafel sind seine beiden Lieblingswerkzeuge. Aber er teilt sein Wissen gern mit anderen. Er mag den Austausch mit seinen Studierenden und beantwortet ihre Fragen. Vielleicht ist es genau das, was ihn so beliebt macht. «Ich kann verstehen, dass die Lehre als Last wahrgenommen wird», sagt er. «Ein junger Mensch, der eine akademische Laufbahn anstrebt, muss sich auf die Veröffentlichung von Artikeln konzentrieren, denn daran wird er gemessen.» Pädagogische Qualitäten sind ausserdem schwer zu beurteilen. «Es ist einfacher, die Leistungen in der Forschung über den Impact-Faktor zu messen.»

Ein Pädagogikkurs ist nicht die Lösung

Der gebürtige Bieler ist nicht zufällig ein guter Dozent geworden. Er hat ein Certificate of Advanced Studies in Language Teaching absolviert und bildet sich an Pädagogik- Wochenenden weiter. Ein solches Engagement «ist nicht unbedingt die Regel», räumt er ein. Für Universitätsprofessuren in der Schweiz ist keine pädagogische Ausbildung erforderlich. Überraschenderweise ist Gefter aber nicht dafür, dass sich das ändert. «Wenn kein Interesse an der Lehre besteht, glaube ich nicht, dass ein Kurs helfen kann», meint er. Aber die Interaktion mit dem Publikum kann für die Forschung durchaus fruchtbar sein: «Die Studierenden werfen Fragen auf, an die man vielleicht nicht gedacht hat. Sie stolpern auch immer wieder über die gleichen Probleme, was uns dazu veranlassen kann, nach dem Warum zu suchen.»

Was kann getan werden, damit Bildungsaufgaben einen höheren Stellenwert erhalten? Am anderen Ende der Schweiz stellt sich Micheline Louis-Courvoisier die gleiche Frage. «Im Idealfall ist die Lehre keine Last», meint die Vizerektorin, die an der Universität Genf für diesen Bereich zuständig ist. Sie berichtet über die Massnahmen, die ihre Institution ergriffen hat: Berücksichtigung pädagogischer Qualitäten bei der Ernennung, Probevorlesung, Webinare und ein Portal für die Lehre und vieles mehr. Es werden bei Assistenzprofessorinnen und jungen Wissenschaftlern allgemein nur geringe Anforderungen an die Lehre gestellt, damit sie sich auf die Entwicklung ihres Forschungsprogramms konzentrieren können.

«Mit Probevorlesungen können wir beurteilen, wie verständlich erklärt und wie begeistert vermittelt wird.»Micheline Louis-Courvoisier

Diese Problematik ist nicht neu, sondern wird bereits seit zwanzig Jahren diskutiert. Ohne sich zu den anderen Hochschulen zu äussern, ist die Vizerektorin der Ansicht, dass die Lehre zumindest in Genf heute in neuem Glanz erstrahlt. «Vor allem, seit wir die Qualität der Lehre regelmässig durch die Studierenden bewerten lassen.» Diese Bewertungen fliessen in die Vertragsverlängerungen ein. «Die Idee ist nicht, Forschung und Lehre gegeneinander auszuspielen, sondern Hinweise zu erhalten, die es uns ermöglichen, unsere Dozierenden in beiden Bereichen zu bewerten und zu unterstützen.» Auch Probevorlesungen sind nützlich. «Damit können wir beurteilen, wie verständlich erklärt und wie begeistert vermittelt wird.»

Eine andere Lösung ist die Schaffung von festen Stellen mit Schwerpunkt Lehre. Diesen Ansatz vertritt Baptiste Hildebrand. An der Universität Freiburg unterrichtet er Studierende im ersten Semester der Naturwissenschaften in den Grundlagen der Physik. Er wurde im vergangenen Jahr wie Guido Gefter mit dem Credit Suisse Award for Best Teaching ausgezeichnet. Und wie Gefter ist er nicht Professor, sondern Dozent. Er kann die Forschung vernachlässigen und sich intensiv der Lehre widmen. «Diese Position wurde geschaffen, als ich gerade mein Postdoc beendet hatte», erklärt er, der damals plante, Gymnasiallehrer zu werden. «Solche Stellen sind bei uns ziemlich neu, zumindest in den exakten Wissenschaften. Sie fördern eine qualitativ hochwertige Lehre.

Skepsis gegenüber Preisen

Die Qualität der Vorlesungen ist ein Thema, das unter Studierenden oft informell zur Sprache kommt, erklärt Hannah Wonta, Generalsekretärin des Verbands der Studierendenvereinigungen der Universität Lausanne. «Professorinnen und Professoren, auf die die Hochschulen besonders stolz sind, die Stars, verfügen nicht unbedingt auch über herausragende pädagogische Fähigkeiten», stellt sie fest. «Das kann zu Frustrationen bei den Studierenden führen, die hier sind, um zu lernen.» In den Augen der Generalsekretärin wären Stellen mit Lehraufgaben als Schwerpunkt besonders sinnvoll für propädeutische Kurse, an denen zu Beginn des Studiums Grundkenntnisse vermittelt werden: «Es besteht eine Kluft zwischen sekundärer und tertiärer Bildung. Ich persönlich war ein wenig verunsichert, als ich an die Universität kam. Zu diesem Zeitpunkt ist es zentral, gute Lehrpersonen zu haben.» Die Lehre nährt die Forschung.

«Ich persönlich war ein wenig verunsichert, als ich an die Universität kam. Da ist es zentral, gute Lehrpersonen zu haben.»Hannah Wonta

Gemäss Micheline Louis-Courvoisier wurden an der Universität Genf keine Stellen geschaffen, die ausschliesslich der Lehre gewidmet sind: «Es fällt mir schwer, die Lehre von der Forschung zu trennen, da sich beide Bereiche gegenseitig befruchten.» Dasselbe gilt für die ETH Zürich. «Forschung und Lehre gehören zusammen, das heisst, die Vorlesungen werden grundsätzlich von den Forschenden selbst gehalten», informiert die Pressestelle. «Falls nötig, werden sie durch Lehrmandate an externe Spezialistinnen ergänzt. So kann jederzeit sichergestellt werden, dass der Unterricht auf dem neuesten Stand der Forschung ist.» Die ETH Zürich erklärt, dass Doktorierende in die Lehre eingebunden seien und das Engagement in diesem Bereich zur «Karriereförderung des akademischen Mittelbaus » gehöre. Darüber hinaus werde ein Instrument zur «Quantifizierung des Unterrichts» entwickelt, «das dazu beitragen soll, alle verfügbaren Kräfte» in diesem Bereich noch besser zu organisieren.

Und die Auszeichnungen? Die Credit Suisse vergibt den Award for Best Teaching seit 2006 im Rahmen ihrer Corporate- Citizenship-Aktivitäten mit dem Ziel, einen Beitrag an die Qualität der Lehre im universitären und wissenschaftlichen Bereich zu leisten. Seitdem sie ausgezeichnet wurden, erhalten Guido Gefter und Baptiste Hildebrand zwar mehr Aufmerksamkeit, ansonsten sind beide jedoch eher skeptisch, was die Wirkung solcher Preise angeht. Hildebrand hat bei Auszeichnungen allgemein ein ungutes Gefühl. Gefter bezweifelt, dass sich jemand davon inspirieren lässt. Während er seinen Dank für die Ehrung zum Ausdruck brachte, bedauerte er, dass seine Kollegen, die sich mit ebenso viel Engagement wie er um ihre Klassen bemühen, nicht in den Genuss einer solchen Anerkennung kommen. «Aber es ist immerhin ein Anfang.»