Ein Ausbruch des Vulkans Dabbahu im Afar-Dreieck im Jahr 2005 verursachte diese grosse Spalte im Boden. Sie ist als Dabbahu-Spalte bekannt. Foto: Rupert Smith

Zuerst zeichnet sich eine Bruchlinie auf der Erdkruste ab. Manchmal breitet sie sich über Millionen von Jahren über einen ganzen Kontinent aus und öffnet sich gegen die Ozeane. So funktioniert das geologische Phänomen der kontinentalen Grabenbrüche. Solche haben Amerika von Europa und Afrika getrennt. Wenn der Meeresboden aufbricht, strömt Magma aus der Tiefe hoch und schafft neues Land, wie Island oder die Azoren.

«Nur im Afar-Dreieck lässt sich die Entwicklung von Grabenbrüchen so hautnah verfolgen.»Frank Zwaan

Das aktivste Grabensystem unseres Planeten befindet sich derzeit in Ostafrika. Das sogenannte Afar-Dreieck verbindet den Golf von Aden, der zwischen der Arabischen Halbinsel und Somalia liegt, das Rote Meer und den Äthiopischen Graben. «Dieses Gebiet ist in der Welt einzigartig », erklärt Frank Zwaan, Postdoktorand an der Universität Bern. «Hier lässt sich die ganze Abfolge von Ereignissen beobachten – von Brüchen in der Erdkruste über vulkanische Gebiete bis zur Bildung eines Ozeans. Nirgendwo sonst lässt sich die Entwicklung von Grabenbrüchen so hautnah verfolgen.»

Afar-Dreieck: Ein Meer entsteht
Vor 30 Millionen Jahren löste sich die Arabische Halbinsel von Afrika. Das Rote Meer und der Golf von Aden enstanden. Millionen von Jahren später begann sich der ostafrikanisch Graben zu bilden, der im ersten Teil Äthiopischer Graben genannt wird. Die ganze Region ist vulkanisch aktiv.

Der Golf von Aden und das Rote Meer sind die ältesten Elemente des Dreiecks. Sie begannen sich vor 30 Millionen Jahren zu bilden, als sich die Arabische Halbinsel vom Afrikanischen Kontinent löste. Das jüngste Element ist der vor rund 10 Millionen Jahren entstandene Äthiopische Graben mit seinen schwindelerregenden Wänden. Die Region Afar ist vulkanisch aktiv - die Dehnung der Erdkruste hat zu Rissen geführt, aus denen Magma hochsteigt. Sie beherbergt schwarze Ebenen mit Basalt, die von der Sonne auf über 60 Grad aufgeheizt werden, Lavaseen, heisse und saure Quellen sowie den tiefsten Punkt Afrikas, der auf 155 Metern unter dem Meeresspiegel liegt.

Rekognoszieren mit Google Earth

Ziel von Frank Zwaan ist es, die Entwicklung von Grabenbrüchen besser zu verstehen und speziell die Richtung zu bestimmen, in die sich die Gesteinsmassen bewegen. Vor seiner Reise nach Äthiopien erforschte der Geologe die Region virtuell mit Google Earth. «So konnte ich einen guten Eindruck von der Lage und der Zugänglichkeit der interessantesten Strukturen gewinnen», erklärt er. Diese Vorgehensweise war für die Planung der Reise hilfreich: Die Region ist unwegsam und das Einholen einer Arbeitsbewilligung aufwendig. In einer zwölftägigen Route über 700 Kilometer besuchte der Geologe mit seinen äthiopischen und italienischen Kollegen die zahlreichen Punkte, die er auf seinem Computer ausgewählt hatte. Zwaan entdeckte dabei unter anderem durch gegenseitige Reibung entstandene vertikale Schrammen an massiven Felsblöcken. Diese Spuren liefern wichtige Hinweise: Die Narben lassen auf die Richtung der Bewegung schliessen. «Je mehr Anhaltspunkte wir vor Ort sammeln können, desto besser verstehen wir, wie und wohin sich die Kontinente verschieben», sagt Zwaan. Um die Dynamik des Grabenbruchs präziser zu beschreiben, sammelte er auch Daten zu lokalen Erdbeben.

Frank Zwaan arbeitet inzwischen mit analogen Afar-Modellen. An der Universität Bern baut er die Strukturen mit Sand und Silikon nach, um die Bewegung der Oberfläche und die Fluidität der Tiefenschichten nachzubilden. Ein Motor übernimmt die Rolle der tektonischen Kräfte, dehnt das Modell und erzeugt Brüche und Terrassenkonfigurationen wie in der Wirklichkeit. Dieser Ansatz habe viele Vorteile gegenüber einem digitalen Modell. «Beim Computermodell reicht ein minimaler Fehler in einer Gleichung, um die Ergebnisse vollkommen zu verfälschen. Beim physikalischen Modell braucht es keine Formeln zur Schwerkraft oder Strömungslehre. Die Natur übernimmt das.»

«Die äthiopischen Geologen suchen nach weiteren Standorten für die Erdwärmenutzun.»Ameha Atnafu Muluneh

Anlass für die Arbeit ist nicht allein wissenschaftliche Neugier. Der Vulkanismus von Afar bietet sich nämlich für eine geothermische Nutzung an, wie der Geologe Ameha Atnafu Muluneh erklärt. Der Forscher an der Universität Addis Abeba hat an zahlreichen Feldaufnahmen von Zwaan teilgenommen. «Mit unseren Studien können wir die Ressourcen der Region einschätzen. Dafür müssen wir besser verstehen, wo sich Leiter geothermischer Fluide befinden.» Heute produzieren in Äthiopien bereits zwei Geothermiekraftwerke Strom – eines im Äthiopischen Graben, das andere in der Verwaltungsregion Afar. «Die heimischen Geologen suchen nach weiteren Standorten für die Erdwärmenutzung », fügt Ameha Atnafu Muluneh hinzu.

Eine andere mögliche, wenn auch weniger nachhaltige, Anwendung ist die Erdölförderung. «Es braucht sehr spezifische Bedingungen, damit sich in einem Grabenbruch Erdöl bildet. Indem wir den Ablauf der Ereignisse schrittweise rekonstruieren, können wir den Ort von natürlichen Lagerstätten genauer vorhersagen», sagt Zwaan.

Schliesslich könnten seine Arbeiten aber auch zur Risikominderung beitragen. Wie alle aktiven Grabenbrüche ist auch Afar eine Erdbebenregion. Mit detaillierteren Informationen zu den Bewegungen der Kontinentalmassen lassen sich Risikogebiete identifizieren, die Position von Überwachungsinstrumenten festlegen und Vorhersagemodelle verbessern.

Der Schweizer Grabenbruch
Mit den Alpen gewinnt die Schweiz eher an Höhe – abgesehen von einer kleinen Ecke unseres Landes: dem Oberrheingraben. Dieser Grabenbruch erstreckt sich von Basel bis Frankfurt. Dessen Grund begann sich vor rund 50 Millionen Jahren zu bilden, als dort die Erdkruste gedehnt wurde. Heute fliesst dort der Rhein. «Es handelt sich um einen passiven Grabenbruch», erklärt Pierre Dèzes, Leiter der Plattform Geowissenschaften der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz, und enthüllt den weniger spektakulären Ursprung: «Im Gegensatz zum Afar-Dreieck oder zum Äthiopischen Graben ist er die Folge eines externen Phänomens: der Bildung der Alpen und der Pyrenäen.» Zudem werde seine mögliche Rolle beim grossen Erdbeben von Basel im Jahr 1356 diskutiert.

Heute lässt sich in der Region aber nur noch eine leicht erhöhte seismische Aktivität in der Nähe des Grabens beobachten. Auch in Zukunft ist vom Oberrheingraben nicht zu erwarten, dass er zu einer nennenswerten Aktivität erwacht. Es besteht also kein Risiko, dass er den Norden Europas teilt und ein neuer Ozean entsteht. «Nach Ansicht der meisten Experten ist dies fast sicher auszuschliessen – zumindest in den nächsten zehn Millionen Jahren.»