In der Coronakrise kam es zum Phänomen der Instantexpertise, sagt Matthias Egger, Präsident des Forschungsrates des SNF. Bild: Nicolas Brodard

Mein Leben wurde auf den Kopf gestellt, als die Politik die akademische Gemeinschaft am 31. März 2020 darum bat, eine nationale Science Task Force zu Covid-19 einzurichten, und mich beauftragte, dieser vorzustehen. Die Science Taskforce, die den Bundesrat berät, ist eine Premiere in der Geschichte des Landes und seiner akademischen Gemeinschaft. Die Schweiz hat ein fantastisches wissenschaftliches Ökosystem mit vielen hoch motivierten Forschenden, die sofort bereit waren, in einer der zehn Expertengruppen mitzuarbeiten.

«In dieser Situation besteht das Risiko, dass Forschungsansätze verfolgt werden, die nicht zielführend sind.»

In der Krise kam es aber auch zum Phänomen der Instantexpertise: Kolleginnen und Kollegen, die ihre akademische Laufbahn bisher weit weg von Viren und Lungenentzündungen verbracht hatten, tauchten auf wundersame Weise als Fachleute auf. Madhu Pai von der McGill-Universität in Montreal, der wie ich über Tuberkulose forscht, hat in diesem Zusammenhang von der Covidisierung der Forschung gesprochen und darauf hingewiesen, dass jede grössere Förderorganisation innerhalb weniger Wochen neue Finanzierungsmöglichkeiten lanciert hat und dass weitere substanzielle Gelder winken. In dieser Situation besteht das Risiko, dass Forschungsansätze verfolgt werden, die nicht zielführend sind.

Ein weiteres Risiko besteht darin, dass sich die Forschung ausschliesslich auf die Bewältigung der akuten Krise konzentriert, während die Analyse der Ursachen zu kurz kommt. In Brasilien etwa war anlässlich des letzten Gesundheitsnotstands von internationaler Bedeutung, des Zika-Fiebers im Jahr 2015, der grossangelegte «Krieg gegen die Mücke» als Sofortmassnahme sicher richtig. Die sozialen Determinanten und Ansätze für den Abbau der massiven sozialen Ungleichheiten fanden dagegen weniger Beachtung. Die Mobilisierung der Schweizer Wissenschaftsgemeinde in der nationalen Taskforce zu Covid-19 ist notwendig. Und eine Covidisierung der Forschung wird es hierzulande nicht geben, obwohl auch der SNF die Covid-19-Forschung mit einer Sonderausschreibung gezielt fördert. Das zeigen die über 1000 Eingaben, die am 1. April 2020 bei der regulären Projektförderung eingegangen sind. Ein Rekord übrigens. Wir brauchen eine langfristige Vision und Strategie für die Wissenschaft. Alle sollen sich auf die Fragen konzentrieren können, die sie mit Können und Leidenschaft verfolgen wollen. Wenn Sie also gerne Quastenflosser, Exoplaneten, soziale Ungleichheiten oder die globale Erwärmung erforschen wollen, dann konzentrieren Sie sich bitte weiterhin darauf.