Dynamisch oder mit Erfahrung? Werden Fotos von 30-Jährigen durch eine Software 20 Jahre älter gemorpht, haben die fiktiven Jobanwärter deutlich weniger Chancen, dass ihre Bewerbung gut bewertet wird. | Bilder: Franciska Krings

Prangt ein Porträtfoto auf einem Lebenslauf, wandert der Blick des Betrachters unvermeidlich dorthin. Ein erster Eindruck – nicht ausschlaggebend dafür, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Möchte man meinen. Doch Eindrücke, die auf Gesichtern basieren, haben eine tiefgreifende Wirkung darauf, wie Menschen andere wahrnehmen und einschätzen. Generell signalisiert eine ältere Erscheinung einen Mangel an Fitness – körperlich und kognitiv. Im Arbeitsumfeld wird dies nicht nur mit der Fähigkeit verbunden, komplexe Aufgaben zu bewältigen, sondern auch damit, wie schnell neue Kompetenzen erworben werden können.

Wie diese psychologischen Mechanismen bei einem Jobselektionsprozess greifen, hat ein Forscherteam der Universitäten Bern, Lausanne sowie der Brandeis University Waltham (USA) 2017 simuliert. Den Studienteilnehmenden, sowohl Laien als auch HR-Fachleute, wurden Lebensläufe mit manipulierten Porträtfotos vorgelegt, welche die gleichen Kandidierenden entweder im Alter von 30 oder 50 Jahren zeigen. Dafür wurden in einer Bildagentur Fotos von Personen ausgewählt, die wie 30-Jährige aussehen. Eine Software erstellte dann von ihnen noch eine 20 Jahre älter aussehende Kopie – durch Morphing.

Resultat: In allen Settings erhielten älter aussehende Kandidierende tiefere Anstellungsratings als jünger Aussehende – und das unabhängig vom im Lebenslauf vermerkten Jahrgang. Der Einfluss der Gesichtswahrnehmung war somit stärker als derjenige des effektiven Alters.

Fitness betonen hilft

Abgeschwächt wurde der Altersnachteil dann, wenn die Forschenden im Lebenslauf Angaben zu Hobbys einbauten, die dem Vorurteil mangelnder körperlicher oder geistiger Fitness entgegenlaufen: zum Beispiel ein vorderer Rang in einem Marathonlauf oder eine Auszeichnung bei einem Kochwettbewerb.

Bilder: Franciska Krings

«Jobsuchende, die sich altersspezifischer Benachteiligung bewusst sind, können dagegen angehen, wenn sie in der Bewerbung Kompetenzen aufführen, die den mit ihrer Altersgruppe assoziierten Stereotypen widersprechen», erklärt Franciska Krings. Die Professorin für Arbeitspsychologie an der Universität Lausanne hat die vom Nationalfonds unterstützte Studie geleitet. Krings hat einen ähnlichen Effekt in einer weiteren Studie zu Impression Management in Jobinterviews festgestellt: Der Altersnachteil wird gemildert, wenn Bewerberinnen negativen Vorurteilen im Vorstellungsgespräch aktiv und mit taktischer Eigenwerbung entgegentreten.

«Es wäre gut, wenn der erste Blick auf das Bewerberprofil ohne Bild stattfände.»

«Solche Strategien können hilfreich sein, sind aber blosse Symptombekämpfung», gibt die Psychologin zu bedenken. Es sei an den Organisationen, faire Verfahren zu bieten, etwa durch entsprechende Trainingsprogramme oder standardisierte Selektionsprozesse. So sollten aus der Sicht von Krings Fotos aus Bewerbungsprozessen eliminiert werden – zumindest in der ersten Phase einer Selektion. «Es wäre gut, wenn der erste Blick auf das Bewerberprofil ohne Bild stattfände.» Die altersdiskriminierende Wirkung der Gesichtswahrnehmung hat die Wissenschaftlerin inzwischen auch mit einer Feldforschung auf dem beruflichen Netzwerk Linkedin bestätigt: Obwohl sich ältere Jobsuchende dort durchaus versiert präsentieren, erhalten sie weniger Jobangebote als Jüngere – es sei denn, sie laden ein Foto hoch, das sie jünger aussehen lässt.

Bei Manpower Schweiz, einem der grössten Personaldienstleister, wird das Einfügen eines Porträtbildes im Lebenslauf als «optional» empfohlen. «Wenn Bewerber über kein geeignetes Foto verfügen, raten unsere Recruiter, darauf zu verzichten», erklärt Manpower-Kommunikationschef Romain Hofer. Die zentrale Frage sei ohnehin: «Dient das Bild als Marketinginstrument, damit ein Kandidat zu einem Jobinterview eingeladen wird?» Je nach Jobprofil sei es sogar von Vorteil, wenn ein Bewerber älter wirke. «Älteres Aussehen wird mit mehr Glaubwürdigkeit und Erfahrung verbunden.» Nebst den Kompetenzen würden Soft Skills auf dem Stellenmarkt immer wichtiger: «Gesucht werden Persönlichkeiten.» Was die Gefahr der Altersdiskriminierung im Rekrutierungsprozess betrifft, verweist Hofer auf regelmässige Mitarbeitertrainings zur Prävention von Diskriminierung in all ihren Formen.

«Es ist wissenschaftlich eindeutig belegt, dass die Arbeitsleistung mit dem Alter nicht abnimmt.»Franciska Krings

Eine Bewerbung mit Bild sei heute weit verbreitet, heisst es wiederum beim Eidgenössischen Personalamt (EPA). Bei der Online-Bewerbung sei das Foto jedoch kein Pflichtfeld. «Es gehen über alle Alterskategorien Bewerbungen ohne Foto ein – ohne Nachteil für die Bewerbenden», hält das EPA fest. Der Grundsatz einer diskriminierungsfreien Rekrutierung ist beim Bund in einer verbindlichen Wegleitung festgehalten. Dort steht: «Die Recruiter verpflichten sich per Unterschrift auf diese Grundsätze.» Als indirekte Diskriminierung von Älteren gilt gemäss EPA-Wegleitung zum Beispiel, wenn für eine Stelle «perfekte EDV-Kenntnisse» verlangt werden, obwohl diese im konkreten Arbeitsbereich gar nicht nötig wären. Im Jahr 2018 betrafen beim Bund über zehn Prozent der Anstellungen Personen im Alter von über 50 Jahren. Den Behörden sind zudem «keine Diskriminierungsklagen bekannt».

Kaum rechtlicher Schutz

Im Unterschied zu den meisten EU-Staaten gibt es in der Schweiz kein gesetzliches Verbot von Altersdiskriminierung. Klagen sind zwar auf Basis des Gleichheitsgebotes in der Bundesverfassung möglich. Sie können sich aber ausschliesslich gegen den Staat richten. Für Klagen im Rahmen von privaten Arbeitsverhältnissen fehlt eine spezifische gesetzliche Grundlage. «Das ist das eigentliche Problem», konstatiert Christa Tobler, Professorin für Europarecht an der Universität Basel. Beim Diskriminierungsrecht mit Bezug auf das Alter habe die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern «klaren Nachholbedarf».

Tobler beruft sich dabei auf einen Bericht der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) aus dem Jahr 2014, wonach in der Schweiz die Rekrutierungsrate der über 55-Jährigen unter dem Durchschnitt der OECD-Länder liegt. Die OECD regt seit Längerem eine umfassende Strategie zur Bekämpfung der Altersdiskriminierung in der Schweiz an. Die Rechtswissenschaftlerin hat ein Forschungsprojekt zur Frage lanciert, welche konkreten Massnahmen die Schweiz im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ergreifen könnte. Im Projekt werden zudem mögliche Schutzmassnahmen für besonders benachteiligte Gruppen wie beispielsweise ältere Frauen unter die Lupe genommen. Bis Ende 2022 sollen die Resultate vorliegen.

Tobler brennt das Thema schon länger unter den Nägeln, doch stiess sie mit ihrer Projektidee anfänglich auf Widerstände. «Man hat mir zu verstehen gegeben, dass es übertrieben sei, in der Schweiz von Altersdiskriminierung zu sprechen.» Nun werde die Wichtigkeit des Themas immerhin grundsätzlich anerkannt.

Auch die Psychologin Franciska Krings wünscht sich ein grösseres Problembewusstsein. Oft werde das Alter als Ausschlusskriterium benutzt, ohne dass man sich überhaupt Gedanken über die Leistungsrelevanz mache. «Es ist wissenschaftlich eindeutig belegt, dass die Arbeitsleistung mit dem Alter nicht abnimmt.»