Diese verschimmelte Tomate finden wohl alle unappetitlich. Doch was ist mit weniger eindeutigen Ekelkandidaten? | Bild: shutterstock/Martina_L

Eine weiche alte Gurke, Maissalat mit Raupen, eine Köchin, die mit blossen Händen hantiert: Appetitlich sind sie nicht gerade, die Themen, mit denen ETH-Ernährungswissenschaftlerin Christina Hartmann das Ekel-Empfinden bei Konsumentinnen und Konsumenten misst. Zwar ist auf den Fragebögen alles sachlich-neutral beschrieben, doch die Vorstellungskraft der Probanden besorgt den Rest. Bilder von fremdem Speichel und Blut steigen vor dem inneren Auge auf, Ungeziefer, das durch Nahrung kriecht. Man riecht das Faulige, schmeckt das Schleimige.

«Wir sind in der Regel von Dingen angeekelt, von denen wir glauben, dass sie uns krank machen können.»Christina Hartmann

Wer da angewidert das Gesicht verzieht oder gar Brechreiz verspürt, reagiert normal. «Die Fähigkeit, sich zu ekeln, ist angeboren», sagt Hartmann. Ekel sei eine der Grundemotionen des Menschen, ein starkes, universelles Gefühl. Er dient dem Schutz vor Infektionen: «Wir sind in der Regel von Dingen angeekelt, von denen wir glauben, dass sie uns krank machen können, wie eben verdorbene und kontaminierte Lebensmittel.» Doch Ekel ist nicht starr, sondern gesellschaftlich-kulturell geprägt. Ekelreaktionen auf bestimmte Auslöser werden uns in der Kindheit und Jugend anerzogen, sie können ändern: «Häufige Kontakte mit Lebensmitteln, die man abstossend fand, können die Ekelreaktion abschwächen.»

Frauen ekeln sich schneller

Mit einer Reihe von Studien untersuchen die Forschenden um Hartmann derzeit, wie Ekel das Essverhalten beeinflusst. Denn was wir auf dem Teller verschmähen oder mögen, hat weitreichende Konsequenzen – etwa für die Umwelt. Hartmann entwickelte zwei Ekel-Messinstrumente, eines mit und eines ohne Fotos. Über tausend Personen aus der Schweiz füllten die Fragebögen aus. Zusätzlich liessen sich hundert Personen in einem Experiment beobachten: Sie bekamen unter anderem mit getrockneten
Mehlwürmern garnierte Schokolade vorgesetzt – ein auf dem Markt erhältliches Produkt. Mehlwürmer sind in der Schweiz seit 2017 als Lebensmittel zugelassen, genauso wie Grillen und Heuschrecken.

Was davon würden Sie am ehesten essen? Teilnehmende einer ETH-Studie fanden den Mais mit den Insektenlarven am ekligsten,
gefolgt von den vergammelten Tomaten. Die Zubereitung des leicht angegrauten Fleisches dagegen kam auf den letzten Platz der Ekel-Skala, obwohl hier mit blossen Händen und Fingerringen – beides mögliche Keimträger – hantiert wird. | Bilder: Fleisch – Pixabay.com/yaron86; Tomaten und Mais – Jeanine Ammann

Die Erkenntnisse bestätigen Befunde, wonach Frauen sich mehr ekeln als Männer. Mögliche Erklärung laut Hartmann: «Weil Frauen schwanger werden können, ist es für sie ein Vorteil, ekelsensitiv zu sein.» Denn der Ekel bedeute auch grössere Vorsicht vor möglichen Infektionsherden. Aufs Alter hin verringert sich das Ekelempfinden bei Frauen und Männern, im hohen Alter dagegen steigt es wieder. Weil Betagte besonders krankheitsanfällig sind? Das sei noch unklar, sagt Hartmann. Einen deutlichen Zusammenhang fanden die Forscher dafür zwischen erhöhtem Ekelempfinden und der Ablehnung neuer Lebensmittel, ja generell sehr selektivem Essverhalten. Auch graust es Ekelsensitive eher vor gallertartigen und weichen Texturen: «Selbst dann, wenn die Lebensmittel ungefährlich sind, wie alternde Früchte und Gemüse.»

Hygiene nicht entscheidend

Auffallend wenig Ekel erzeugen Situationen mangelnder Hygiene. So landete eine Abbildung blosser Hände mit Schmuck an den Fingern, die Hackfleisch kneten, zuhinterst auf der Skala. Da werde das Gesundheitsrisiko wohl unterschätzt, so die Forscherin. Ihre Studien zeigen auf: Ekel kann uns vital nützen, aber auch im Weg stehen. Um umweltfreundliches Verhalten zu fördern, sollten Ekel-Auslöser vermieden werden, schliesst Hartmann nämlich aus ihren Befunden. Wenn überreife Früchte und Gemüse so verarbeitet würden, dass braune Stellen oder schrumplige Oberflächen nicht mehr zu sehen wären, könnte Lebensmittelverschwendung reduziert werden. Auch um den Leuten neue Lebensmittel wie Insekten als klimafreundlichen Fleischersatz schmackhaft zu machen, gelte es Ekelreize zu vermeiden.

Das fange schon bei den Bezeichnungen an: «Insekten und Wurm tönen wenig verlockend. Beim Fleisch reden wir ja auch vom Schnitzel und nicht von der Tiergattung. » Zudem werde neues Essen eher akzeptiert, wenn es positiv bis trendy besetzt sei und in Gemeinschaft konsumiert werde. Das Paradebeispiel sind Sushi-Bars. Aus dem für unsere Breitengrade tendenziell ekligen rohen Fisch ist angesagter Food geworden. Als nächstes untersucht Hartmann das Ekelempfinden in anderen Ländern, von Frankreich über Schweden und China bis nach Südafrika und Australien. Wie man hört, gelten frittierte Maden auf asiatischen Strassenmärkten schliesslich als besondere Leckerbissen.

Susanne Wenger ist freie Journalistin in Bern.